Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brooklyn

Brooklyn

Titel: Brooklyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colm Tóibín
Vom Netzwerk:
vorderen Teil des Hauses. Während er den Brief aufmerksam durchlas, hatte er einen besorgten Ausdruck im Gesicht, und selbst als er ihn ihr wieder aushändigte, blieb er ernst.
    »Sie sind unglaublich«, sagte er feierlich. »Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.«
    Sie lächelte.
    »Die meisten Leute, die unangemeldet hierherkommen, brauchen etwas oder haben ein Problem«, sagte er. »Uneingeschränkt gute Nachrichten gibt es äußerst selten.«
    »Ich habe etwas Geld gespart«, sagte Eilis, »und werde die Kursgebühren für mein zweites Jahr bezahlen können. Und sobald ich eine Stelle habe, zahle ich Ihnen das Geld für letztes Jahr zurück.«
    »Bezahlt hat eines meiner Pfarrkinder«, sagte Father Flood. »Er musste unbedingt etwas für die Menschheit tun, also habe ich ihn Ihre Collegegebühren für letztes Jahr zahlen lassen, und ich werde ihn bald daran erinnern, dass er für dieses Jahr ebenfalls blechen muss. Ich habe ihm gesagt, es wäre für eine gute Sache, und so kann er sich edel vorkommen.«
    »Haben Sie ihm gesagt, dass es für mich war?« fragte sie.
    »Nein. Ich habe ihm keine Einzelheiten genannt.«
    »Würden Sie ihm in meinem Namen danken?«
    »Selbstverständlich. Wie geht es Tony?«
    Es überraschte sie, wie nonchalant und unbekümmert die Frage klang, wie beiläufig sie zu verstehen gab, dass Tony kein Problem oder Eindringling war, sondern zum festen Inventar gehörte.
    »Es geht ihm hervorragend«, sagte sie.
    »Hat er Sie schon zu einem Spiel mitgenommen?«
    »Nein, aber er droht dauernd damit. Ich habe ihn gefragt, ob Wexford spielen würde, aber er hat den Witz nicht verstanden.«
    »Ein guter Rat für Sie, Eilis«, sagte Father Flood, während er dieTür öffnete, um sie in den Flur zu begleiten. »Niemals Witze über das Spiel machen.«
    »Das hat Tony auch gesagt.«
    »Er ist ein feiner Kerl«, sagte Father Flood.

    Sobald sie Tony am nächsten Abend den Brief zeigte, sagte er, sie müssten zur Feier des Tages am folgenden Sonntag nach Coney Island fahren.
    »Champagner?« fragte sie.
    »Meerwasser«, erwiderte er. »Und anschließend ein piekfeines Abendessen bei Nathan’s.«
    Sie kaufte sich im Bartocci’s ein Strandbadetuch und einen Sonnenhut von Diana, die sagte, sie wollte ihn nicht mehr haben. Beim Abendessen führten Diana und Patty ihre Sonnenbrillen für die Saison vor, die sie in Atlantic City auf der Uferpromenade gekauft hatten.
    »Ich habe irgendwo gelesen«, sagte Mrs. Kehoe, »dass man sich damit die Augen verderben kann.«
    »Ach, das ist mir egal«, sagte Diana. »Ich finde sie umwerfend.«
    »Und ich habe gelesen«, sagte Patty, »dass die Leute über einen reden werden, wenn man sie dieses Jahr am Strand nicht anhat.«
    Miss McAdam und Sheila Heffernan probierten Dianas Brille an, ignorierten Dolores ganz offen und reichten sie dann an Eilis weiter.
    »Also, die ist schon sehr schick, das gebe ich zu«, sagte Mrs. Kehoe.
    »Ich verkaufe sie dir gern«, sagte Diana zu Eilis, »denn ich kann mir am Sonntag eine neue kaufen.«
    »Wirklich?« fragte Eilis.
    Als sie erfuhren, dass Eilis sich einen neuen Badeanzug gekauft hatte, wollten sie ihn unbedingt sehen. Dann, als sie damit wieder heraufkam, gab sie ihn demonstrativ als erstes Dolores, damit sie ihn sich anhielt.
    »Du kannst dich glücklich schätzen, Eilis, dass du die Figur dazu hast«, sagte Mrs. Kehoe.
    »Ich kann überhaupt nicht in die Sonne gehen«, sagte Dolores. »Ich werd ganz rot.«
    Patty und Diana fingen an zu lachen.

    Als Tony sie am Sonntag vormittag abholte, schien er von der Sonnenbrille überrascht zu sein.
    »Ich werde dich mit einer Leine anbinden müssen«, sagte er. »Alle Kerle am Strand werden mit dir durchbrennen wollen.«
    Die U-Bahnstation war gestopft voll von Menschen, die ans Meer wollten, und als die ersten zwei Züge durchfuhren, ohne anzuhalten, ertönte entsetztes Geschrei. Die Menschen standen so dicht zusammengequetscht, dass es kaum Luft zum Atmen gab. Als endlich ein Zug hielt, sah es nicht so aus, als ob überhaupt noch jemand hineinpassen würde, und dennoch begannen sich alle in die Abteile zu drängen und lachten und schrien dabei und verlangten, dass die Leute beiseite rückten und ihnen Platz machten. Als Eilis und Tony, der außer einer Tasche einen zusammengeklappten Sonnenschirm trug, endlich eine Tür gefunden hatten, gab es im Zug überhaupt keinen Platz mehr. Zu ihrem Erstaunen packte Tony sie bei der Hand und begann, sich ins Abteil zu quetschen, um für sie

Weitere Kostenlose Bücher