Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brother Sister - Hoert uns einfach zu

Brother Sister - Hoert uns einfach zu

Titel: Brother Sister - Hoert uns einfach zu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sean Olin
Vom Netzwerk:
Natur dann wieder zur Ruhe gekommen war, ging ich zu meinem Wagen zurück und fuhr den kurzen Weg nach Hause.
    Gleich als ich ankam, hätte ich wissen müssen, dass Mom wieder abgestürzt war. Anzeichen gab es ja genug, aber das wurde mir erst hinterher klar. Zum Beispiel war überall im Haus Licht an. Auf der Arbeitsplatte in der Küche stand ein offener Tetrapak Orangensaft. Aus den Boxen im Wohnzimmer dröhnte Guns N’ Roses. Es ist dann immer Guns N’ Roses. Die Tür zum Zimmer meiner Mutter auf der obersten Wohnebene war geschlossen. Aber ich hatte immer noch nichts begriffen. Glaubte, dass es ihr gut ging. Dass sie nie wieder rückfällig werden würde.
    Zuerst hab ich die Musik leiser gestellt. Dann rief ich zu ihr hoch: »Hey, Mom! Rate mal, was ich gemacht hab!«
    Dann wartete ich.
    Es dauerte ungefähr fünf Minuten, bis sie ihre Tür aufmachte. Sie lehnte sich ans Geländer und sah genervt zu mir runter. »Die Musik, Will! Ich wollte sie hören.«
    Ich musste den Kopf in den Nacken legen, um mit ihr zu sprechen. Sie trug die rotbraune tibetanische Strickmütze, die sie so liebt. Die ist für sie so was wie ne Schmusedecke. »Kommst du mal kurz runter?«, fragte ich.
    »Warum?«
    »Ich will dir was zeigen.«
    »Was denn?«
    »Das siehst du dann ja. Bitte, Mom, es ist wichtig.«
    Ich weiß gar nicht, warum ich den Pokal vor ihr versteckte. Aber irgendwie hatte ich so ’n Bild vor Augen, wie sie im Wohnzimmer auf dem großen weißen Sofa sitzt und ich stelle den Pokal auf den Couchtisch, während sie Oooh und Aaah sagt.
    »Bring das Ding doch rauf.«
    »Bitte, Mom!«
    Ich hockte mich auf die kleine weiße Lederfußwippe, die immer irgendwo im Wohnzimmer rumsteht, und stellte den Pokal auf den Couchtisch.
    »Was ist das?«, fragte meine Mom.
    »Das, was ich dir zeigen wollte.«
    »Okay, ich komme runter. Aber nur, weil du die Musik leise gestellt hast.«
    Langsam kam Mom runter, ohne die Hand vom Geländer zu nehmen. Sie hielt es so fest, dass ihre Fingerknöchel ganz weiß waren. Auf jeder Stufe blieb sie kurz stehen, um das Gleichgewicht zu halten. Dabei lächelte sie krampfhaft vor sich hin.
    Da kapierte ich endlich, dass sie voll war.
    Ich wischte einen Fleck vom Pokal und hatte das Gefühl, jemand hätte mir die Beine weggezogen. Plötzlich war ich nichts Besonderes mehr. Wieso hatte ich mich dieser Illusion überhaupt hingegeben?
    Bis sie endlich unten ankam, war mir schon alles egal.
    Sie blieb schwankend stehen, ohne mir zu nahe zu kommen. Ich spürte ihre Wärme. Sie starrte den Pokal an. Bestimmt kam sie sich jetzt ziemlich blöd vor, bedauerte ihr Desinteresse und überlegte, was sie sagen sollte. Dann strich sie mir kurz über den Kopf, fast so, als ob sie mit mir flirtete. Das heißt: Das wollte sie tun, aber sie griff daneben.
    »Hast du das Ding geklaut?« Das war ihre Art von Humor.
    Ich antwortete nicht.
    Sie umrundete den Tisch und setzte sich aufs Sofa.
    »Du hast gewonnen«, sagte sie.
    »Ja.«
    Sie strahlte. Richtig stolz. Das war ein ziemlicher Schock. So was hatte ich noch nie mit ihr erlebt. Dass sie eine Leistung von mir anerkannte. Oder mich überhaupt beachtete.
    Sie war so glücklich, dass sie anfing zu weinen. Fast konnte ich in ihr wieder die schöne Frau sehen, die sie gewesen war, bevor mein Vater abhaute. Ihre Grübchen. Ihr kindliches Staunen.
    Dann heulten wir plötzlich beide. Wie die Schlosshunde. Oder sentimentale Idioten. Mir war sogar egal, dass sie betrunken war. Wichtig war nur, dass sie stolz auf mich war. Sie holte den Pokal vom Tisch, nahm ihn in den Arm und fuhr mit dem Finger über die Golferfigur. Sie hielt das Ding, als wäre es ihr Baby, das sie beschützen müsste, zur Not unter Einsatz ihres Lebens.
    »Ich wusste, dass du gewinnen würdest«, sagte sie. »Heute Morgen hatte ich gleich so ein Gefühl, eine richtige Vision: du in gleißendem Licht, ganz in Weiß gekleidet. Da wusste ich es. Du bist nicht mehr das Sensibelchen von früher. Jetzt zeigst du der Welt, was in dir steckt.« Als sie aufhörte zu sprechen, starrte sie den Pokal an und bewegte weiter die Lippen, aber es kam kein Ton mehr aus ihr raus. Ich konnte sehen, dass sie was ausbrütete. Dann sagte sie: »Ich hatte den sensiblen Jungen sehr gern.«
    »Ich bin immer noch derselbe, Mom.«
    »Du bist immer noch derselbe.« Dann sagte sie nichts mehr.
    Als ich klein war, damals, als Dad noch bei uns war, und auch noch kurz danach, war Mom die Größte für mich. Sie … ich weiß nicht … sie war

Weitere Kostenlose Bücher