Brother Sister - Hoert uns einfach zu
irgend so nem Typen.« Herrgott, ich hätte beinahe »Will« gesagt. »Ich war total schockiert, das könnt ihr euch ja wohl vorstellen. Ich hab die Mailbox erst gegen Mittag abgehört und dann hab ich beide nonstop angerufen und ihnen tausend SMS geschickt. Aber nichts. Keine Antwort, nichts.«
Die drei sahen mich an, als ob sie mich für verrückt hielten. Jeden Moment konnte einer von ihnen sagen, dass ich Müll redete und mir alles nur ausdachte. Ich wusste es. Und dann kam mir ein ganz furchtbarer Gedanke: Sollen sie doch , dachte ich. Warum sollten sie nicht sagen, dass ich Müll redete? Sie hatte ja recht.
Dann konnte ich die Tränen nicht länger zurückhalten. Ich wusste, dass sie recht hatten und ich nicht. Ich hatte auf ganzer Linie so unrecht, wie man nur unrecht haben kann. Ich war ein schlechter Mensch, ein verdorbener Mensch. Ich hatte es verdient, erwischt zu werden. Völlig hysterisch heulte ich los.
»Mein Gott, mein Gott, mein Gott«, schluchzte ich immer wieder. »Ich konnte nicht … Ich wollte nicht … Es war falsch …« Die wenigen Worte, die ich überhaupt rauskriegte, waren kaum zu verstehen, weil ich einen Weinkrampf hatte.
Ich konnte mich nicht mehr halten und rutschte vom Barhocker auf die schwarze Fußmatte. Dann rollte ich mich wie ein Baby zusammen und wünschte, ich wäre tot – und nicht meine Freunde.
In meinem Kopf tobte ein Sturm und nur wenige Geräusche aus der realen Welt drangen zu mir durch. Luke und die anderen beiden fragten, ob mit mir alles in Ordnung sei. Sie waren erschrocken und machten sich Sorgen, und es war ihnen total peinlich, mich so uncool zu erleben. »Du kannst ja nichts dafür«, murmelte einer von ihnen.
Dann sagte Luke: »Wir sollten jetzt gehen.«
Und Ricky sagte: »Wir legen unser Geld auf den Tresen. Wenn du dich wieder beruhigt hast, kannst du es in die Kasse legen. Wir sind keine Diebe. Wir wollten nur … Also ich …«
»Komm jetzt, Ricky«, sagte Toby. »Bloß raus hier!«
»Tja, dann tschüs«, sagte Ricky. »Und herzliches Beileid.«
Will
Klar, ich bin ja nicht blöd. Natürlich musste ich damit rechnen, dass jemand mich verdächtigte. Immerhin war ich Willy, der wilde Wichser.
Trotzdem versuchte ich, cool zu bleiben.
So wie am Montag. Da trainierte ich auf dem Golfplatz putten, als Lewis auf mich zukam. Schon als ich ihn vom Clubhaus den Hügel runterkommen sah, ging mir die Flatter. Ich dachte: Sobald er was sagt und mich in die Enge treibt, nehm ich meinen Schläger und zieh ihm eins über den Kopf. Völlig daneben, ich weiß. Aber so war ich zu dem Zeitpunkt drauf. Innerlich am Rotieren. Das geringste bisschen konnte mich aus der Fassung bringen.
Er grinste übers ganze Gesicht, wie ein Vollidiot, und ging so breitbeinig, als gehörte ihm die ganze Welt. Ich dachte, er wollte wieder seine Show abziehen, diese Nummer, wo er so tut, als ob er dein bester Kumpel ist, und in Wirklichkeit stellt er die ganze Zeit nur klar, was er alles besser kann und weiß. Das macht er nämlich andauernd. Aber als er dann bei mir ankam und seine obercoole Sonnenbrille auf den Kopf schob, machte er ein Gesicht, das ich noch nie bei ihm gesehen hatte. Es sah aus, als hätte er Mitleid mit mir.
»Hey, Mann«, sagte er. »Üble Sache. Kommst du klar?«
»Warum sollte ich nicht?«, sagte ich.
»Na, die Sache mit Craig und Naomi.«
Ich hatte die neuesten Gerüchte noch nicht gehört und fragte: »Was ist denn mit ihnen?«
»Lebst du auf dem Mond, Mann? Das weiß inzwischen doch jeder: Doppelselbstmord.«
»Wo hast du das denn her?«
»Mann, das sagen doch alle! Heute Morgen hieß es noch, nur Naomi hätte sich umgebracht, aber vor ner halben Stunde hab ich ne SMS von Ricardo gekriegt, dass Craig auch als vermisst gilt. Angeblich gibt es ne Art Abschiedsbrief von den beiden.«
Gerüchte. Gerede. Lauter absurdes Zeug. Trotzdem kamen mir die verrücktesten Gedanken. Und Bilder tauchten vor mir auf … Von den beiden in ihren Taucheranzügen und wie sie darin jetzt wahrscheinlich aussahen. Von meiner Schwester. Ihren Tränen. Wie sich ihr Gesicht verfinstert, wenn sie wütend wird und sich verraten fühlt. Dann dachte ich an die anderen in Morro Bay, die Jugendlichen, die Erwachsenen … einfach alle, wie sie miteinander tuscheln und flüstern, über mich … Dieser Will … Wir haben ja schon immer gewusst, dass er kein guter Mensch ist … Ich stellte mir vor, wie ich festgenommen würde. Dann sah ich mich auf einem Geschützturm mit
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