Broughton House - Haus der Sehnsucht
Gefühl, es steckt viel mehr dahinter als ein Umzug in ein anderes Haus. Du sagtest, dass Vanessa und Eleanor nicht gut miteinander auskommen. Könnte das die beiden Frauen nicht gleichermaßen verletzlich machen? Schließlich lieben sie denselben Mann.“
„Vanessa und verletzlich?“ Marcus schüttelte heftig den Kopf. „Wenn du sie sehen oder hören könntest! Manchmal wünschte ich …“ Erschrocken hielt er inne. Nicht einmal gegenüber seinem ältesten und engsten Freund würde er zugeben, wie sehr ihn die Spannungen erbosten, die durch Vanessa in seine Ehe getragen wurden.
Auf wen war er eigentlich wütend? Auf Vanessa, weil sie da war? Oder auf Eleanor, weil sie nicht mit seiner Tochter zurechtkam? Oder ärgerte er sich über alle beide, weil sie Frauen waren, also anders, und er keine logische männliche Antwort auf das Gefühlschaos in ihrer Beziehung fand?
„Komm, gehen wir essen“, schlug Piet vor.
Eine halbe Stunde später saßen sie in einem kleinen gemütlichen Restaurant. „Und jetzt erzähl mir von dieser jungen Amerikanerin, vor der du zu mir geflüchtet bist“, forderte Piet Marcus auf und lächelte vielsagend. „Die Midlifecrisis ist eine schlimme Sache, mein Freund. Nie ist man sich stärker bewusst, dass man nicht ewig lebt. Ist sie sehr hübsch?“
„Sehr attraktiv und sehr entschlossen“, gab Marcus zu. „Aber nicht hübsch. Eleanor ist hübsch.“
Während er es aussprach, erkannte Marcus, dass es die Wahrheit war. Ihm war, als wäre ihm eine schwere Last von den Schultern genommen.
Als er spät in der Nacht in sein Hotelzimmer zurückkehrte und sich auszog, läutete das Telefon. Er starrte auf den Apparat und stellte sich vor, wie Sondra jetzt nackt auf dem Bett lag. Ihr Körper war sinnlich entspannt, und ihre Haut besaß jenen gesunden Glanz, den ein gewisser Typ amerikanischer Frauen auszustrahlen schien.
Marcus’ Mund wurde trocken, und sein Körper straffte sich. Nicht nur vor Besorgnis, stellte er fest und griff automatisch nach seinem Bademantel, um die wachsende Erregung zu verbergen.
Das kräftige Geräusch der Dusche übertönte das Läuten. So war es besser, vernünftiger und sicherer. Außerdem musste er über einiges nachdenken.
In London saß Eleanor im Bett und starrte auf den Hörer, den sie gerade wieder aufgelegt hatte. Ihr wurde eiskalt vor Sorge und Verzweiflung. Marcus war nicht in seinem Zimmer. Wo mochte er sein? Musste sie sich das wirklich noch fragen?
„Das verflixte Haus ist dir wichtiger als ich“, hatte er ihr vorgeworfen. „Wenn es dir so wichtig ist, dann mach weiter und kaufe es. Ich werde bestimmt nicht …“
„Ich werde bestimmt nicht dort mit dir leben.“ Hatte Marcus das sagen wollen?
Was war mit ihnen geschehen? Seit wann lief alles schief? Dabei hatte sie sich solche Mühe gegeben … Zu viel Mühe. „Du versuchst es zu stark“, hatte Marcus erklärt, als sie ihm ihre Besorgnis über Vanessas Verhalten gestand. Sie hatte die Kritik und die Verärgerung in seiner Stimme deutlich gehört. Damals hatte sie zum ersten Mal das Gefühl gehabt, ihren Mann zu enttäuschen oder gewissen Anforderungen nicht zu entsprechen.
Wie wenig bedurfte es, um das Selbstbewusstsein eines Menschen zu erschüttern. Ein feindseliger Teenager, der Betrug durch einen Geschäftspartner, das Gefühl, dass einem das Leben langsam aus der Hand glitt, reichten dafür aus. Bei ihr kam außerdem die Erkenntnis hinzu, dass die eigenen Bedürfnisse nicht erfüllt wurden, auch der Wunsch, sich auf jemanden stützen zu können, und ein beinahe kindisches Verlangen nach Trost.
Für manche Frauen bestand dieser Trost aus Essen, für andere aus Sex. Für sie, Eleanor, hatte er aus einem Haus bestanden. Nein, nicht aus einem Haus, sondern aus einem Heim – jenem Heim, das sie als Kind nie gehabt hatte und von dem sie angenommen hatte, dass es ihre Welt wie durch Zauberhand sicher machen und ihr die Liebe und Aufmerksamkeit der Eltern verschaffen würde.
Hatte sie Broughton House tatsächlich nicht für ihre Söhne und Vanessa gewollt, sondern vor allem als Trostpflaster für sich, weil sie nicht jene Vollkommenheit besaß, die man von ihr erwartete? Eine Vollkommenheit nicht nur als Ehefrau, sondern auch als erfolgreiche Berufstätige, als hingebungsvolle, fürsorgliche Mutter, verständnisvolle, kluge Stiefmutter und gute Freundin, auf die andere sich jederzeit berufen konnten?
Was war sie denn? Nichts als eine erschöpfte, gestresste Frau, die es leid
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