Broughton House - Haus der Sehnsucht
Gemeinsamkeit noch geblieben zu sein schien. Marcus bekam langsam den Eindruck, dass er Nell gar nicht kannte. Manchmal hatte er das Gefühl, dass sie sich bewusst von ihm fernhielt und ihn zurückwies. Wie seinerzeit seine Mutter?
„He, wem galt das denn?“
Lächeln berührte Sondra seinen Arm. Sie ist eine auffallend attraktive junge Frau, gab Marcus zu. Und sie wusste diese Attraktivität zu nutzen.
„Ich habe inzwischen einiges über Den Haag gelesen“, erzählte sie. „Es gibt dort wunderbare Museen und Galerien.“
„Ja, es wird Ihnen Spaß machen, sie zu besichtigen“, stimmte Marcus ihr zu.
Schmollend verzog sie den Mund. „Ich hatte eigentlich gehofft, Sie würden mitkommen. Oder wäre Ihnen das zu langweilig?“
Wider willen lachte Marcus. „Sie hätten Politikerin werden sollen und nicht Juristin“, erklärte er trocken.
„Sind Sie sicher, dass ich das nicht werden möchte?“, fragte sie. „In den Vereinigten Staaten ist ein juristischer Beruf häufig der erste Schritt zum Capitol. Was sind Ihre Ziele, Marcus?“
Marcus zog die Brauen in die Höhe. „In meinem Alter sollte man sie bereits erreicht haben“, stellte er fest und beachtete die warnende Stimme nicht, die ihn auf die drohende Gefahr aufmerksam machte. Sondra war intelligent genug, um einen kleinen Flirt auch als solchen zu erkennen. Deshalb wunderte er sich nicht, dass sie die Gelegenheit ergriff und geschickt nachstieß.
„In welchem Alter? Ein richtiger Mann wird erst interessant, wenn er sich den Vierzigern nähert. Es ist erwiesen, dass er zwischen dem vierzigsten und fünfzigsten Lebensjahr sowohl beruflich und als auch sexuell seinen Höhepunkt erlebt. Ein reifer Mann, der weiß, was er vom Leben erwartet und wie er sein Ziel erreicht, hat etwas ungeheuer Anziehendes. Er ist sexuell so attraktiv, dass sich nur wenige Frauen diesem Reiz entziehen können.“
Wie lange war es her, dass Nell so mit ihm geflirtet hatte? Dass sie sowohl sein Selbstbewusstsein gestärkt als auch seine Manneskraft gelobt hatte?
Nein, das ist ungerecht, überlegte Marcus. Ich vergleiche zwei völlig verschiedene Frauen. Nell besaß nicht dieses Selbstvertrauen und diese sexuelle Aggressivität, die es ihr ermöglicht hätte, wie Sondra auf einen Mann zuzugehen. Im Bett hatte sie ihm dagegen oft gesagt und gezeigt, wie sehr sie ihn liebte und begehrte.
Hatte? Schuldbewusst erinnerte Marcus sich, wie sie sich in der Provence geliebt hatten und wie lustvoll Eleanor zu ihm gekommen war.
Früher, in der traditionellen Ehe, hatten die Frauen ihre Reize gern genutzt, um Besitz und Sicherheit dafür einzuhandeln. Nell würde so etwas niemals tun. Wenn er es genau bedachte, wäre Sondra dagegen dazu imstande. Sie setzte ihre Sexualität und ihre Jugend bewusst als Lockmittel ein und genoss die Macht, die ihr beides gab. Das war ihm klar.
Weshalb erregte Sondra ihn dann trotzdem?
Was wollte er wirklich? Sich in der Sinnlichkeit ihres Körpers verlieren und seine Ängste und Probleme vergessen? Oder wollte er Nell dafür bestrafen, dass sie seine Bedürfnisse nicht erkannte? War er tatsächlich so schwach und egoistisch?
Typisch Rechtsanwalt, überlegte Marcus, während der Flugkapitän die bevorstehende Landung ankündigte. Immer fühlt man sich verpflichtet, beide Seiten eines Problems zu überdenken.
Da Sondra und er nur Handgepäck hatten – im Gegensatz zu seinem trug Sondras das unübersehbare Markenzeichen von Gucci –, konnten sie den Flughafen sofort verlassen.
Im Taxi zum Hotel saß Sondra dicht neben Marcus und hakte sich vertraulich bei ihm ein.
„Zumindest haben wir den heutigen Abend ganz für uns“, sagte sie fröhlich. „Was wollen wir tun? Sie könnten mir Den Haag bei Nacht zeigen. Die Kanäle sind vielleicht nicht ganz so romantisch wie in Venedig, aber sie riechen vermutlich erheblich besser.“ Lachend zog sie die Nase kraus.
Marcus erkannte die Gefahr sofort. Diese Schlüsselworte „wir“ und „romantisch“ ließen keinen Zweifel an Sondras Absichten. Wenn er ihrem Vorschlag zustimmte, war klar, wo der Abend enden würde. Und er war nicht sicher, ob er das wollte. Außerdem gefiel ihm nicht, dass er der passivere Teil bei diesem Spiel war.
„Tut mir leid, ich habe keine Zeit“, antwortete er. „Ich bin mit einem alten Freund verabredet.“
In Wirklichkeit hatte er den Abend nutzen wollen, um einige Akten aufzuarbeiten.
Sobald sie ihre Zimmer bezogen hatten, griff Marcus zum Telefon und drückte sich
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