Broughton House - Haus der Sehnsucht
schmiegte. Er spürte die Wärme ihres Körpers durch seinen Anzug und roch ihr Parfüm. Einen Moment blieb er stehen und blickte über die Schulter zurück. Doch Sondra drängte ihn weiter. Er merkte, wie aufgeregt sie wegen der Reise war und wie sehr sie sich darauf freute, etwas von Den Haag zu erleben.
Marcus sagte nichts dazu. Diese Konferenzen mit den europäischen Kollegen verliefen immer nach demselben Schema. Man saß stundenlang in dunklen, überfüllten Sälen und behandelte irgendeinen heiklen Punkt des internationalen Rechts.
Der Internationale Gerichtshof hatte nicht die Macht, seine Entscheidungen durchzusetzen. Trotzdem besaß seine Stellungnahme ein gewisses Gewicht. Früher hatte er, Marcus, diese Diskussionen ebenso begeistert verfolgt wie Sondra. Jetzt waren sie nur noch ein weiterer Termin in seinem überfüllten Kalender.
Er erreichte langsam einen Punkt seiner Karriere, wo er sich entscheiden musste. Entweder stieg er eine Stufe höher und übernahm nur noch die interessantesten Fälle, die ihm angeboten wurden, oder er beendete seine Arbeit als Strafverteidiger und wandte sich einer anderen juristischen Tätigkeit zu. Man war bereits behutsam an ihn herangetreten, um herauszufinden, was er von einer eventuellen Stellung als Bezirksrichter hielt.
Blieb noch die dritte Möglichkeit: Er konnte nach Brüssel ziehen und eine jener gut bezahlten Positionen als Rechtsberater einer großen internationalen Firma annehmen, die ihm ständig angeboten wurden.
Ein Teil seines Problems bestand darin, dass er nicht recht wusste, ob er in seinem Alter schon bereit war, auf die äußerst interessante Arbeit eines Strafverteidigers zu verzichten. Andererseits war ihm klar, dass es so nicht weitergehen durfte.
Begriff Nell nicht, dass er seinen derzeitige Arbeitsumfang unmöglich bewältigen konnte, wenn er täglich von Wiltshire nach London pendeln musste?
Unbehaglich rutschte Marcus auf seinem Sitz hin und her.
Er hatte ständig das Gefühl, dass Eleanor ihm nicht richtig zuhörte, dass sie seine Probleme nicht erkannte und sich mehr um die Schwierigkeiten anderer Leute kümmerte als um seine.
Inständig wünschte er, sie fände eine Möglichkeit, besser mit Vanessa zurechtzukommen. Natürlich war er ebenso schockiert wie sie über das schlechte Benehmen des Mädchens. Aber was sollte er tun? Vanessa war beinahe erwachsen und alt genug, um Gut und Böse zu unterscheiden. Und sie besaß einen viel zu starken Willen, um sich seinen Wünschen zu beugen.
Nach dem Scheitern seiner ersten Ehe hatten ihm alle versichert, wie vernünftig sein Entschluss wäre, Vanessa überwiegend bei ihrer Mutter wohnen zu lassen. Vor allem für ein Mädchen wäre das am besten.
Finanziell hatte er dafür gesorgt, dass es seiner Tochter an nichts fehlte. Doch wenn er Eleanor in letzter Zeit reden hörte, hatte er den Eindruck, dass sie ihn beschuldigte, ihm vorwarf …
Marcus erinnerte sich genau, wie erstaunt sie zu Beginn ihrer Bekanntschaft gewesen war, dass er seine Tochter so selten sah. Was konnte er dafür, dass er kein besonders väterlicher Mensch war? Warf Eleanor ihm vor … Wies sie ihn zurück, weil er ihrer Ansicht nach bei Vanessa versagt hatte?
Wie wichtig bin ich für meine Frau? überlegte er und öffnete seine Aktentasche. Wo stehe ich auf ihrer Liste? Tiefer als ihre Söhne? Tiefer als meine eigene Tochter? Gewiss erheblich tiefer als das verflixte Haus.
Marcus überprüfte seinen Terminkalender und runzelte die Stirn. Die Konferenz würde morgen beinahe den ganzen Vormittag in Anspruch nehmen. Anschließend musste er einiges in der Bibliothek nachschlagen, und um achtzehn Uhr fand ein Empfang in der britischen Botschaft statt, bei dem er nicht fehlen durfte.
Sondra bewegte sich neben ihm, und ihre weiche Brust presste sich an seinen Arm. Er war ziemlich überrascht gewesen, dass sie ihn auf dieser Reise begleiten wollte. Es wäre eine wunderbare Gelegenheit, den Internationalen Gerichtshof in Aktion zu erleben, hatte sie behauptet. Er wusste seit zwei Tagen, dass sie mitkommen würde, hatte aber nichts davon zu Nell gesagt.
Weshalb sollte er? Schließlich tat er nichts Verbotenes und hatte nicht vor, die Situation auszunutzen. Sondra hatte ihm zwar deutlich zu verstehen gegeben, was sie für ihn empfand, das hieß aber nicht, dass er ihrem Wunsch entsprechen würde.
Verärgert erinnerte er sich an den Streit, den er wegen Sondra mit Eleanor gehabt hatte.
Streit war das Einzige, was ihnen an
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