Broughton House - Haus der Sehnsucht
heimlich beide Daumen. Eine halbe Stunde später verließ er das Hotel und fuhr mit dem Taxi zu einem klassischen soliden Haus am Kanal.
Die Tür öffnete sich beinahe sofort, und ein kräftiger breitschultriger Mann, der ebenso respekteinflößend wirkte wie sein Heim, begrüßte ihn lebhaft.
„Marcus, wie schön, dich wiederzusehen.“ Herzlich klopfte er dem Freund auf die Schulter. „Komm herein.“
„Ja, ich freue mich auch, Piet. Tut mir leid, dass ich mich so kurzfristig selber eingeladen habe.“
„Das macht überhaupt nichts. Im Gegenteil, ich bin froh über deine Gesellschaft. Elise ist mit den Kindern bei ihren Eltern in Friesland. Das Haus ist ohne sie ziemlich leer. Hast du schon gegessen?“
„Wir haben zwar etwas im Flugzeug bekommen, aber ich könnte durchaus noch etwas vertragen“, gab Marcus zu und merkte, dass der Freund ihn fragend ansah.
„Wir? Bist du nicht allein hier?“, erkundigte sich Piet.
Die Juristen in Den Haag und London pflegten enge Kontakte. Früher oder später würde Piet auf jeden Fall von Sondra Cabot erfahren. Deshalb erzählte Marcus ihm alles.
Erriet der Freund, weshalb er heute Abend zu ihm geflüchtet war?
Piet und er kannten sich seit ihrem Jurastudium. Marcus hatte damals einen Kursus in Den Haag belegt und war zum ersten Mal mit dem Internationalen Recht in Berührung gekommen. Die beiden Männer waren all die Jahre gute Freunde geblieben.
Piet und Elise waren als Gäste auf seiner Hochzeit mit Eleanor gewesen. Außerdem war Piet Vanessas Patenonkel, obwohl Julia und er sich nie gemocht hatten. Eleanor und Elise verstanden sich dagegen ausgezeichnet.
„Was führt dich nach Den Haag?“, fragte Piet, nachdem er den Freund in sein Arbeitszimmer geführt hatte.
„Ach, das Übliche“, antwortete Marcus. „Einer meiner Mandanten möchte, dass ich einen Prozess am Internationalen Gerichtshof für ihn beobachte. Es handelt sich erst um die Voranhörung – reine Formsache.“
„Und wie geht es meinem Patenkind Vanessa?“
Marcus sah ihn kläglich an.
„Aha“, meinte Piet mitleidig. „Diese Teenager. Sie leiden unendlich und lassen uns mitleiden. Unser Ältester ist jetzt vierzehn. Er hat den Stimmbruch noch nicht ganz hinter sich, besteht aber darauf, ein erwachsener Mann zu sein. Erst erklärt er mir, ich hätte kein Recht, mich in sein Leben einzumischen, und im nächsten Moment läuft er zu seiner Mutter und klammert sich an deren Schürzenbänder.“ Er schüttelte den Kopf.
„Elise ist zu nachsichtig mit ihm. Sie behauptet, ich wäre bloß eifersüchtig. Obwohl ich es ungern zugebe, könnte ein Körnchen Wahrheit dahinterstecken. Dabei ärgere ich mich weniger über meinen Sohn persönlich, als über das, wofür er stellvertretend steht. Er spürt es genau und spielt es gegen mich aus. Manchmal würde er die Geduld eines Heiligen auf eine harte Probe stellen. Dann schwöre ich, dass ich ihn ermorden könnte. Doch anschließend erinnere ich mich, dass er mein Sohn ist, und schmelze vor Liebe dahin.“ Nachdenklich sah er Marcus an. „Für dich und Eleanor ist es natürlich viel schwieriger. Ich beneide deine Frau nicht um die Aufgabe, Stiefmutter eines Teenagers zu sein.“
„Ich habe versucht, mit Nell darüber zu reden“, sagte Marcus kläglich. „Aber sie nimmt alles viel zu persönlich. Manchmal habe ich das Gefühl, dass sie mir die Schuld an ihrem schlechten Verhältnis zu Vanessa gibt. Sie scheint zu glauben, dass ich die Feindseligkeit meiner Tochter unterstütze. Nell hat die irrsinnige Vorstellung, ein Umzug in ein riesiges uraltes Haus tief auf dem Land, das sie gefunden hat, würde uns wie durch ein Wunder zu einer großen glücklichen Familie zusammenschweißen.“
„Und du bist anderer Meinung?“
„Ja. Das Haus liegt viel zu einsam und muss von Grund auf renoviert werden. Keines unserer Kinder ist es gewöhnt, auf dem Land zu leben. Und Eleanor … Sie glaubt, dass ich ihr absichtlich Schwierigkeiten bereite. Sie begreift nicht, dass ich sie nur vor weiterem Leid bewahren möchte.“
Er bemerkte Piets Blick und verzog das Gesicht. Also gut, ich gebe zu, dass ich nicht besonders scharf auf diesen Umzug bin. Aber ich glaube tatsächlich nicht, dass es der richtige Schritt für uns wäre, auch nicht für Nell. Sie meint …“
Er hielt inne und seufzte leise. „Tut mir leid, Piet. Ich wollte dich nicht mit meinen Problemen belasten.“
Piet spreizte die Finger. „Wozu hat man schließlich Freunde? Ich habe das
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