Brown, Dale - Feuerflug
westliche Staatengemeinschaft einbinden. Al-Khan hat überlebt und wird Präsident werden, weil den Leuten gefällt, was er predigt.«
»Auch wenn er seine Macht durch Mord, Totschlag und Verrat erhält?«
»Was Sie Verrat nennen, ist für einen anderen Patriotismus, Sechmet«, sagte Baris. »Was Sie Mord und Totschlag nennen, ist für einen anderen Gerechtigkeit, Vergeltung und Vorsehung. Welche Auffassung ist richtig? Welche ist falsch? Ich denke, das hängt vom jeweiligen Standpunkt ab.«
»Ich kann nicht glauben, dass Sie das sagen, Achmed«, widersprach Susan aufgebracht. »Meinen Mann, den ägyptischen Präsidenten, zu ermorden, war keine Gerechtigkeit. Sich zu verschwören, Ägypten in die Arme einer Bande mörderischer Anarchisten wie der Muslim-Bruderschaft zu treiben, ist kein Patriotismus.«
»Nein, in Ihren Augen nicht«, bestätigte Baris. »In meinen auch nicht. Aber für zwanzig Millionen Ägypter, fünfzehn Millionen Libyer und fünf Millionen Sudanesen ist es das sehr wohl. Über die Hälfte der ägyptischen Streitkräfte hält al-Khan für einen Helden, weil er Ihren Mann beseitigt hat. Die halbe saudi-arabische Königsfamilie, drei Viertel aller Libanesen und die meisten Syrer sehen Zuwayy als einen Befreier, als das Schwert des Islams.«
»Wie ist das möglich?«, fragte Susan ungläubig. »Wie kann das wahr sein? Erkennen alle diese Leute denn nicht, wie gefährlich er ist? Merken sie nicht, dass Zuwayy verrückt ist? Er bildet sich ein, von einem libyschen König abzustammen. Dabei ist er nur ein Verrückter – ein raubender, mordender Verrückter!«
»Sie hören nicht richtig zu, Sechmet!«, sagte Baris mit einem Lächeln wie ein geduldiger Lehrer, der beobachtet, wie einer begabten Schülerin allmählich eine Erkenntnis dämmert. »Sie müssen mir besser zuhören. Was Sie denken oder zu wissen glauben, spielt keine Rolle – wichtig ist nur, was das Volk glaubt. Denken Sie nur an die Geschichte Ihres eigenen Landes, Susan. Jedermann hat geglaubt, John F. Kennedy sei der sogenannte Prinz von Camelot, und später waren alle desillusioniert, weil sich herausstellte, dass er ein Schürzenjäger, ein unreifer, privilegierter Politiker war, der nicht viel mehr wusste, als sein Bruder Robert und sein ›Küchenkabinett‹ ihm erzählten. Sie besitzen gute Kenntnisse der Geschichte Europas und des Nahen Ostens – glauben Sie wirklich, dass die europäischen Herrscher die Kreuzzüge organisiert haben, um das Heilige Land von den Ungläubigen zu befreien? Glauben Sie wirklich, dass Alexander der Große die Königreiche Vorderasiens vereinigen wollte?«
»Also ist alles Propaganda? Alles nur Illusion?«
»Natürlich ist alles nur Täuschung«, sagte Baris. »Real sind nur die Gesetze – aber es gibt viele, viele Dinge, die mächtiger als die Gesetze sind. Image. Wahrnehmung. Gefühl. Angst. Hass. Liebe. Beherrschen Sie diese Dinge, dann beherrschen Sie alles andere.«
Susan schüttelte verwirrt den Kopf. »Weshalb erzählen Sie mir das alles, General?«, fragte sie mit leiser, angestrengter Stimme. »Weshalb? Wollen Sie behaupten, mein Mann sei für nichts mehr als einen Traum, eine Illusion gestorben?«
»Weil ich Ihnen zu erklären versuche, wie Männer wie Zuwayy und al-Khan funktionieren«, antwortete Baris geduldig. »Ihr Mann ist umgekommen, weil sein Herz stark, aber sein Verstand vielleicht nicht stark genug war. Er hat an etwas geglaubt, das er niemals haben konnte. Jetzt müssen Sie wählen, was Sie haben wollen, Sechmet. Wählen Sie!«
Tripolis, Vereinigtes Königreich Libyen Kurze Zeit später
»Ja, ich habe Susan Salaam gesehen. Sie lebt!«, zischte Chalid al-Khan in sein Handy. »Ich habe geglaubt, ein Gespenst zu sehen, als sie aufs Podium gekommen ist! Und sie ist verrückt! Sie hat tatsächlich zwei meiner Männer angegriffen und schwer verletzt – hat sie fast mit einem Spazierstock umgebracht!«
»Mit einem Spazierstock?«, fragte Jadallah Zuwayy mit leise glucksendem Lachen. Er saß behaglich in seinem Büro und arbeitete mit seinen engsten Beratern und ihren Assistenten einige Akten durch. »Ich glaube, Sie müssen sich nach besseren Leibwächtern umsehen, mein Freund.«
»Sie beschuldigt mich, sie ermorden zu wollen!«
»Beruhigen Sie sich, Ulama. Lassen Sie sie toben und Ihre Leibwächter verprügeln – das lässt sie umso labiler wirken.« »Labil? Sie kandidiert für das Amt des Staatspräsidenten, Hoheit!«
Zuwayy erstarrte, dann setzte er sich kerzengerade
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