Brown, Dale - Patrick McLanahan - 09 - Mann gegen Mann
sechshundert Knoten machten. In KFOR-Gebieten war die Radarüberwachung weit besser, und sie mussten sich längst im Terrainfolgemodus befinden, wenn sie in den Erfassungsbereich der ersten Stationen kamen. Mit dem Infrarotscanner konnte Stoica das Gelände vor sich selbst bei völliger Dunkelheit klar erkennen. Ungefähr zehn Minuten später überflogen sie die albanische Grenze und rasten zwischen den sanften Hügeln des Drin-Tals auf die Kleinstadt Neu-Kukës im Nordosten Albaniens zu.
Neu-Kukës war ein Umsiedelungsprojekt, das erst vor dreißig Jahren mit sowjetischer Unterstützung realisiert worden war; die alte Stadt war nach dem Bau einer Staumauer für ein Wasserkraftwerk am Drin in dem aufgestauten See versunken. Über dem engen, hügeligen Tal des Drin schien ständig Nebeldunst zu liegen, der die Bergkämme und Gipfel in der näheren Umgebung verbarg. Durch Kosovoflüchtlinge war die Einwohnerzahl der Stadt von zwölftausend Menschen auf über hunderttausend gestiegen, aber seit die KFOR im Jahr 1999 in den Kosovo eingerückt war und den Geflüchteten eine sichere Heimkehr garantierte, waren nur einige tausend Flüchtlinge zurückgeblieben. Die riesige Teppichfabrik Kukës beschäftigte fast tausend Arbeitskräfte, und die Kupfer- und Chrombergwerke in der Umgebung boten noch ein paar tausend Arbeitsplätze. Aber die weitaus größten Arbeitgeber waren die auf dem schwarzen Markt tätigen Waffenhändler, die albanische Mafia, die Drogenbarone und die Zuhälter. Sie alle lebten von den Flüchtlingen und unterstützten die KosovoAlbaner, die weiter für eine unabhängige muslimische Republik im Kosovo kämpften.
Das Zentrum des legalen und illegalen Handels in Nordostalbanien war die einige Kilometer von der Stadtmitte entfernt liegende Teppichfabrik Kukës, die bei weitem größte Fabrik im gesamten Tal. Das in der Nähe der Fabrik angelegte Flüchtlingslager war heutzutage kleiner als früher, aber der Rest des Lagers hatte sich in eine Budenstadt aus Hütten, Zelten und Holzhäusern verwandelt, die an eine allmählich zu einer Kleinstadt heranwachsende Bergwerkssiedlung im Wilden Westen erinnerte – mit Straßen, die knöcheltief mit Schlamm bedeckt waren, hölzernen Gehsteigen, primitivster Wasserversorgung und fast ebenso vielen Tieren auf den Straßen wie Fahrzeuge. Die ein- oder zweigeschossigen Holzbauten beherbergten im Erdgeschoss Bars, Restaurants oder Läden, im ersten Stock Büros und im zweiten Stock Apartments für wohlhabende Geschäftsleute, das Personal der Lagerverwaltung, für Unterweltbosse und ihre Schergen.
Hinter den Holzhäusern standen die Hütten der Fabrikarbeiter, und dahinter befand sich eine von NATO-Pionieren und internationalen Hilfsorganisationen errichtete Zeltstadt für eine weitere Gruppe von Bewohnern: das Ausbildungszentrum der Kosovo-Befreiungsarmee. Unter Aufsicht und Verwaltung der albanischen Streitkräfte wurden im Lager Kukës ständig über fünfhundert Männer, Frauen und Kinder im Alter zwischen vierzehn und sechzig Jahren durch Kosovo-Albaner ausgebildet. Ihre Ausbildung umfasste Nahkampf, Klettern, taktisches Verhalten und Schießen mit Handfeuerwaffen; dazu kamen politische und religiöse Indoktrinationskurse. Die Besten – etwa zwanzig Prozent jedes Lehrgangs – wurden in Ausbildungslager der albanischen Armee in Shkodër, Gjader oder Tirana geschickt, um eine reguläre Schulung zu erhalten; die Besten dieser Elite, die sich als besonders gute Soldaten erwiesen und sich durch besonderen Hass auf Andersgläubige hervortaten, wurden in Ausbildungslager in Libyen, dem Sudan, Ägypten und Algerien geschickt, um dort zu Terroristen ausgebildet zu werden.
Unter dem Schutz der UN-Friedenstruppe und vor Überfällen durch serbische Milizen und Grenzpolizei sicher, konnte das Ausbildungslager Kukës blühen und gedeihen. Als Gegenleistung für Essen, Unterbringung und Ausbildung arbeiteten die Rekruten in der Teppichfabrik und den Bergwerken, stellten den Personenschutz für Drogenhändler und Schmuggler und erledigten Gelegenheitsarbeiten in der Zeltstadt. Eine Stunde vor Sonnenaufgang, als der erste graue Tageslichtschimmer durch die tief hängende Wolkendecke drang, befanden die Arbeiter der Frühschicht sich auf dem Weg zu ihren Arbeitsstätten, und die Nachtschicht der Teppichfabrik und der Bergwerke war dabei, sich auf den Heimweg zu machen – und genau zu diesem Zeitpunkt begann der Stealth-Bomber Mt179 Tjeny seinen Angriff.
Die ersten Ziele, die
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