Brown, Dale - Patrick McLanahan - 09 - Mann gegen Mann
die Schallmauer durchbrochen hatte. Zwei Minuten später sagte Jegorow: »Ziel in Reichweite. Abdeckungen einfahren?«
»Abdeckungen einfahren«, befahl Stoica. Jegorow betätigte einen Schalter, der in den Flügelvorderkanten kleine Jalousien aus Titan hochfahren ließ, sodass die IR-Suchköpfe der R60 freigelegt wurden. Stoicas Kehle war wie ausgetrocknet, und auf seiner Stirn standen winzige Schweißperlen. In all seinen Dienstjahren bei der russischen und rumänischen Luftwaffe hatte er niemals eine scharfe Jagdrakete abgefeuert – und jetzt war er als Zivilist kurz davor, eines der größten und wichtigsten Flugzeuge im NATO-Arsenal abzuschießen. Im nächsten Augenblick flammte die orangerote Leuchte auf, die ihnen anzeigte, dass die Suchköpfe der Raketen ihr Ziel erfasst hatten. »Feuer frei«, sagte Stoica.
»Fertig, fertig, jetzt !« Als Jegorow auf den Feuerknopf drückte, fauchte eine Jagdrakete R60 aus der linken Tragfläche. Sekunden später schoss Jegorow eine zweite Rakete von rechts ab. »Zwei Raketen gestartet. Bye-bye, AWACSFlugzeug.«
»O eins, hier C eins«, sagte der erste Controller über die Bordsprechanlage. »Wir haben ein intermittierendes unbekanntes Ziel, Peilung null-zwo-null, Entfernung zwanzig Meilen, keine Höhe. Bitte um Erlaubnis zum Wechsel auf engen Suchstrahl.«
Der Kommandeur der sechzehn Operatoren des NATOFrühwarnflugzeugs, ein Oberst der britischen Royal Air Force, holte sich das Radarbild des ersten Controllers auf den eigenen Bildschirm. Das Radar konnte kleine oder schwache Ziele manchmal nicht sehr gut orten, bis sie von der Rundsichtabtastung mit großer Reichweite auf einen engen Suchstrahl mit geringerer Reichweite umschalteten, der mehr Energie auf nahe, schwache Ziele konzentrierte. »Genehmigt«, entschied der Kommandeur. »Besatzung, Radar in engem Suchmodus, umkonfigurieren.« Die restliche Besatzung musste wissen, dass der Radarmodus wechselte, weil sie plötzlich mit Zielen überflutet werden würde – auf ihren Radarschirmen würden jetzt von Vogelschwärmen über Wolken bis zu Wetterballons alle möglichen Ziele erscheinen, bis der Computer diese Quasi-Festziele unterdrückte.
Das unbekannte Ziel wurde sofort deutlich sichtbar. »Kontakt, Peilung null-eins-fünf, Entfernung neunzehn Meilen, im Sinkflug durch zwanzigtausend, Fahrt sechsfünf-null Knoten, IFF negativ, Bezeichnung Feindziel eins. Besatzung, Feindkontakt.«
»Sollen wir ein Patrouillenflugzeug anfordern, das sich das Ziel mal ansieht?«, schlug der neben dem RAF-Oberst an der ersten Konsole sitzende stellvertretende Kommandeur vor.
»Ein Patrouillenflugzeug? Welches Patrouillenflugzeug?«, fragte der Kommandeur. »Unsere Patrouillen haben ihr Zeug zusammengepackt und sind abgehauen. Dank der Amerikaner haben wir keine Patrouillen über der KFOR mehr.«
Das stimmte. Vor einem Monat hatte US-Präsident Thorn angekündigt, die Vereinigten Staaten würden ihre Heeres- und Luftwaffeneinheiten aus der KFOR abziehen und nach Hause holen. Die einzigen gegenwärtig noch in Südeuropa stationierten US-Einheiten waren AWACS-Flugzeuge E3C der Luftwaffe, Überwachungsflugzeuge vom Typ E8A Joint STARS, eine Kampfgruppe von U.S. Navy und Marinekorps in der Adria vor der kroatischen Küste und die weiterhin im Mittelmeer operierende Sechste Flotte. Alle übrigen Heeres- und Luftwaffeneinheiten, darunter fast zehntausend Soldaten, die im Kosovo, in Makedonien und Montenegro stationiert gewesen waren, und fünftausend Mann aus Bosnien waren weg …
Und nicht nur vom Balkan zurück, nicht nur wieder in der Heimat, sondern wirklich weg : Die Einheiten waren aufgelöst und die Soldaten versetzt, vorzeitig pensioniert oder gegen ihren Willen entlassen worden.
Die Vereinigten Staaten befanden sich mitten im massivsten Truppenabbau, den die Welt je gesehen hatte. Aus Europa und Asien wurden Soldaten in Schwindel erregend hoher Anzahl abgezogen. Ausrüstung im Wert von Milliarden Dollar wurde verkauft, an verbündete Streitkräfte verschenkt oder einfach zurückgelassen. Amerikanische Stützpunkte in Deutschland, Belgien, den Niederlanden und Norwegen leerten sich buchstäblich über Nacht. In ganz Europa lagen die Häfen voller Truppentransporter und gecharterter Frachter, die tausende von Soldaten und Millionen Tonnen von Versorgungsgütern nach Nordamerika zurückbringen sollten.
Die europäischen NATO-Mitglieder und die nicht der NATO angehörenden Staaten in der KFOR waren entschlossen, die
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