Brown, Dale - Schattenpilot
Schlimmste war, dass ausgerechnet der Mann, mit dem er dringend reden wollte, nicht anwesend war. Empörend! dachte Jiang. Das soll Sun Ji Guoming mir büßen!
»Entschuldigung, Genosse Präsident«, sagte Verteidigungsminister Chi Haotian. »Admiral Sun ist über Satellit am Telefon.«
»Wo steckt er? Ich habe ihm befohlen, vor Angriffsbeginn hier zu sein!«
»Genosse Präsident, er ist in der Luft... er hat sich aus einem Bomber über der Provinz Jiangxi gemeldet!«
»Was? Geben Sie her!« Jiang riss Chi den Telefonhörer aus der Hand. »Admiral Sun, hier spricht der Präsident. Ich verlange augenblicklich eine Erklärung!«
»Ja, Genosse Präsident«, antwortete Sun Ji Guoming. »Ich befinde mich an Bord eines Bombers H-j Gangfang. Er dient mir als fliegender Befehlsstand zur Überwachung unserer Angriffe auf die nationalistischen Rebellen auf Taiwan. Wir sind bereit, Makung, Taichung, Hsinchu, Tainan und Tsoying anzugreifen. Ich bitte um Erlaubnis, mit den Angriffen beginnen zu dürfen. Kommen.«
Jiang war so wütend, dass seine Stimme sich beinahe überschlug. »Ich habe Ihnen befohlen, vor Angriffsbeginn hier zu sein!«, brüllte er los. »Wieso haben Sie meinen Befehl nicht ausgeführt?«
»Weil ich nicht glaube, dass ich mich noch in Ihr überfülltes Kömmandozentrum hätte zwängen können, Genosse Präsident«, antwortete Sun ruhig. Jiang konnte nicht anders: Er musste sich erneut umsehen und die Feigheit und Disziplinlosigkeit verfluchen, die zur Überfüllung dieses Bunkers geführt hatten. »Außerdem kann nicht jeder hohe Offizier der Volksbefreiungsarmee in einem Bunker hocken - es muss auch welche geben, die unsere Truppen zum Sieg führen. Daher habe ich beschlossen, den Luftangriff gegen die Rebellen selbst anzuführen.«
»Das ist Insubordination höchsten Grades!«, polterte Generalstabschef Chin Po Zihong dazwischen. »Admiral Sun hat sämtliche Anwesenden beleidigt! Dafür muss er sofort degradiert und eingesperrt werden!«
Präsident Jiang sah sich nochmals in dem völlig überfüllten Bunker um und empfand Scham und Verlegenheit. Er konnte keinen Kommandeur tadeln, der selbst in einem Jagdbomber saß und bereit war, es mit der hoch gerüsteten, gut ausgebildeten Luftwaffe der Nationalisten aufzunehmen: »Ich glaube, dass es uns schwerfallen würde, den Genossen Sun zu verhaften, da er frei ist und für die Volksrepublik China kämpft, während wir in dieser Sardinenbüchse aus Stahlbeton sitzen!«, sagte Jiang laut. »Wie können wir es wagen, dem Admiral Insubordination vorzuwerfen, während er sein Leben aufs Spiel setzt, um seinen Soldaten ein Vorbild zu sein?« General Chin schwieg, und Jiang drückte wieder die Sprechtaste. »Genosse Sun, können Sie uns einen Zwischenbericht über den Stand des Unternehmens geben?«
»Ja, Genosse Präsident«, antwortete Sun. »Die Nationalisten haben Juidongshan wie erwartet mit konventionellen Bomben und aus der Luft abgeworfenen Minen angegriffen. Wir haben keine Verluste gehabt, aber der Stützpunkt hat mittlere Schäden erlitten. Vier unserer Abfangjäger J-6 sind abgeschossen worden; dabei hat es vermutlich vier Tote gegeben. Der Angriff auf Xiamen ist zurückgeschlagen worden, wobei die Nationalisten zweiunddreißig Jäger F-16 verloren haben. Ihre Verluste auf Quemoy sind schwer abzuschätzen, aber die beobachteten Schäden scheinen schwer zu sein. Weder Verluste noch Schäden in Xiamen. Unsere Invasionskräfte sind einsatzbereit und warten auf Ihren Befehl, um die zweite Phase unseres Angriffs zu beginnen.«
Präsident Jiang zögerte. Dies war sicher die schwierigste Entscheidung seines Lebens. Bisher hatte er wegen der Aktivitäten der Volksbefreiungsarmee in der Formosastraße und dem Südchinesischen Meer kaum Kritik einstecken müssen. Er war heftig kritisiert worden, als er die Mao Zedong in den Westpazifik geholt hatte; er war kritisiert worden, als er die Flugzeugträgerkampfgruppe vor Quemoy zusammengezogen hatte; er war kritisiert worden, weil er zu stark in die Selbstverwaltung Hongkongs eingegriffen haben sollte. Aber seit Admiral Sun seinen unorthodoxen Krieg gegen Taiwan begonnen hatte, hatte die Kritik sich kaum noch gegen ihn, sondern fast ausschließlich gegen die Vereinigten Staaten und die Rebellen auf Formosa gerichtet - obwohl Admiral Sun und die Volksbefreiungsarmee unter seinem Kommando alle bisherigen Vorfälle bewusst provoziert hatten!
Aber von nun an würden Chinas wahre Absichten sich nicht länger tarnen
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