Brown, Sandra - Ein skandalöses Angebot
Lippen, als sie
den Absender las. »Er ist von den Prathers«, erklärte sie.
»Meinen Pflegeeltern«, setzte sie für Jared hinzu, der ihr
neugierig über die Schulter schaute. Sie musterte ihn vielsagend. Er kannte die ganze Geschichte und wusste, warum
sie North Carolina den Rücken gekehrt hatte. Verständlich,
dass sie sich über das Schreiben wunderte.
»Mach ihn auf«, sagte er milde.
Sie riss das Kuvert auf und zog zwei beschriebene Bögen
heraus. Erkannte Abels saubere, schön geschwungene
Handschrift. Neugierig überflog sie die erste Seite.
»Offenbar hat die Nachricht von Bens Tod sie gar nicht
erreicht - sie lassen ihn nämlich grüßen.« Ihre Augen glitten
weiter über das Papier. »Oh!«, rief sie. Ihre Hand flog bestürzt an ihre Kehle. »William Keller ist tot.«
»Umso besser. Woran ist er gestorben?«, fragte Jared grob.
Während sie weiterlas, führte sie stockend aus: »Es war
ein Riesenskandal. Er wurde erschossen ... von einem gehörnten Ehemann ... dessen Frau hatte zugegeben, dass
William ihr Geliebter war.« Sie hielt inne, die Zeilen verschwammen ihr vor den Augen. »Abel ... ich meine, die Prathers sind tief geknickt, dass sie damals an meiner Ehrlichkeit zweifelten.« Sie faltete den Brief und blickte zu Jared.
»Sie bitten mich inständig um Verzeihung und beteuern,
dass ich jederzeit zu ihnen zurückkehren kann.«
Jared, der sie schweigend betrachtete, dachte an William
Kellers Schicksal. Das reumütige Pastorenehepaar, das Lauren misstraut hatte, kümmerte ihn weniger. »Dieser Bastard! Schade, dass ich ihn nicht umgebracht habe!«
»Geht es um jemanden aus Laurens Vergangenheit?«,
schaltete Olivia sich zuckersüß ein. Sie hatte mit wachsendem Interesse die Ohren gespitzt. Ihr Einwurf wurde
schnöde ignoriert.
Lauren packte Jared am Ärmel und schüttelte ihn sanft.
»Bitte, sag so etwas nicht.«
Er fasste sich hastig wieder. Bedachte sie mit einem warmen, gefühlvollen Blick. »Schätze, in gewisser Weise muss
ich Mr. Keller sogar noch dankbar sein, was?«
Sie nickte und lächelte, weil sie wusste, was er damit
meinte. »Ich vermutlich auch«, murmelte sie matt.
In den darauffolgenden Wochen sollte Lauren sich noch
häufiger auf jenen Nachmittag und Abend besinnen. Sie
bewahrte die Erinnerung an jene Liebesstunden mit Jared
in der friedvollen Abgeschiedenheit des Arbeitszimmers wie
einen kostbaren Schatz in ihrem Herzen. Nach dem betreffenden Tag änderte sich nämlich schlagartig alles.
Am nächsten Abend kamen die Männer das erste Mal zu
ihrem Haus geritten. Jared war wie üblich bei Sonnenaufgang aufgebrochen und erst spät zurückgekehrt. Olivia und
Lauren hatten bereits ein ungemütliches, da einsilbiges
Mahl hinter sich gebracht.
Jared war übelster Laune. Er aß wenig und trank zu viel.
Als die Männer nach und nach eintrudelten, ließ Olivia anklingen, dass ihre Schwiegertochter in ihrem Zimmer besser
aufgehoben sei. Lauren verstand den Wink. Sie blickte zu
Jared, rechnete fest mit seinem Widerspruch, er aber kehrte
ihr den Rücken zu und goss sich einen weiteren Drink ein.
Von ihrem Zimmerfenster aus beobachtete sie die immer
größer werdende Ansammlung von Männern im Hof. Sie
kamen in kleineren Gruppen, wirkten allesamt wenig vertrauenerweckend, leicht reizbar und gewalttätig. Das waren
bestimmt die angeheuerten Typen, die in Pueblo Ärger machen und einen Aufstand anzetteln sollten. Den würde man
dann später den Bewohnern dieser Gemeinde in die Schuhe
schieben, seufzte Lauren im Stillen.
Lautes Stimmengewirr und Gelächter drangen aus den
Räumen im Erdgeschoss zu ihr nach oben. Lauren erkannte
Parker und Kurt Vandiver, die durch das Portal ins Haus
kamen, wo sie stürmisch begrüßt wurden.
Es war das einzige Mal, dass die Unruhestifter geschlossen auftraten. An den nun folgenden Abenden kam immer
nur eine kleine Abordnung, um Jared abzuholen. Dann hörte Lauren, wie er erst in den frühen Morgenstunden zurückkehrte. Bisweilen ritt er nachts auch allein aus und blieb
stundenlang weg, bis sie Chargers Hufschlag vernahm.
Dann fiel ihr jedes Mal ein Stein vom Herzen. Ob er Versammlungen einberief, um den Angriff auf Pueblo strategisch zu planen?
Zur Ablenkung stürzte Lauren sich in die Hilfsprojekte für
Pueblo. Ihre Besuche bei den Bedürftigen sorgten für neuen
Elan bei ihren Mitstreitern. Man gewöhnte sich rasch daran,
dass Pepe sie in einem Einspänner durch die Straßen kutschierte. Einige der beherzteren Bewohner
Weitere Kostenlose Bücher