Brown, Sandra - Ein skandalöses Angebot
Familienkutsche unter ihrem Fenster vorüberglitt,
bemerkte sie eine sehnig schlanke, gebräunte Hand, die
sich lässig auf den Verschlag stützte. Die Unterredung kam
völlig unverhofft für Lauren. Elena riss die Tür auf, wirbelte
barfuß und mit wippenden Brüsten in ihrem weiten farbenfrohen Kleid ins Zimmer und platzte mit der Neuigkeit heraus.
»Die Señora möchte Sie sehen, pronto, Señorita. Schnell.
Kommen Sie, sie sitzt mit Señor Wells in Señor Locketts Büro.«
Eilends half sie Lauren in ihre Kostümjacke, steckte ihr
die Haare zu einem strengen Dutt zusammen. Und bückte
sich hastig, um ihr die Stiefel zuzuknöpfen. Eine beeindruckende Leistung in ihrem Zustand, dachte Lauren abwesend. Ihr Herz raste, ihr Atem beschleunigte sich, und ihre
Handflächen schwitzten.
Während sie Elena aus dem Zimmer folgte, zerknüllte sie
nervös ein sauberes Spitzentaschentuch in den Fingern. Die
Mexikanerin schien nicht minder aufgeregt, als sie Lauren
durch den Korridor zur Treppe schob. Sie liefen die Stufen
hinunter und zu einer großen Schiebetür. Ehe sie die Tür
aufschob, nickte das Hausmädchen Lauren mutmachend
zu.
Die junge Frau atmete tief durch und glitt ins Zimmer.
Wieder war sie verblüfft über die geschmackvoll-schlichte
Einrichtung. Deckenhohe Bücherregale säumten die Wände. Halbhohe Borde flankierten einen imposanten Kamin,
der mit aufwändigen Schnitzereien verkleidet war. Wandhohe Panoramafenster sorgten für Helligkeit und einen ungestörten Blick ins Freie.
Ein weicher Orientteppich bedeckte nahezu das gesamte
Bodenparkett aus edlen Tropenhölzern. Ledersessel und
kleine, geschickt platzierte Tische luden zum Verweilen
und Plaudern ein. Auf einer Anrichte standen Gläser und
Karaffen aus funkelndem Kristall. Die Vorhänge vor den
Fenstern waren komplett zurückgezogen, nachmittägliches
Sonnenlicht spiegelte sich auf den Glasoberflächen.
Vor den Fenstern stand ein bombastischer Schreibtisch,
auf dem sich Aktenordner und Papierstapel türmten. Dahinter thronte Olivia in einem Ledersessel. Der korpulente
Herr von vorhin saß ihr gegenüber auf einem Stuhl. Er
stand auf und trat zu Lauren.
»Miss Holbrook, schön, Sie zu sehen. Ich hoffe, Sie hatten
keine großen Unannehmlichkeiten?« Das war wohl eine rein
rhetorische Frage, denn er redete ohne Pause weiter: »Mein
Name ist Carson Wells, ich bin der Anwalt der Familie Lockett und ein langjähriger Freund von Ben und Olivia. Angenehm, Ihre Bekanntschaft zu machen.«
»Ganz meinerseits.« Seine freundlich-verbindliche Art
wirkte beruhigend auf ihr angespanntes Nervenkostüm. Sie
antwortete gefasst: »Ich kann nicht klagen. Ich bedaure jedoch, dass ich zu einem denkbar unglücklichen Zeitpunkt
hier hereingeplatzt bin.«
»Niemand macht Ihnen deswegen einen Vorwurf.« Lauren atmete innerlich auf, sie war froh über die Anwesenheit
des Anwalts. Ein schmaler, brauner Haarkranz zog sich um
seinen ansonsten kahlen Charakterkopf. Wie um seine Glatze zu kompensieren, trug er einen altmodischen, mausgrauen Backenbart, dessen akkurat gestutzte Enden eine fleischige Knollennase einrahmten. Er schien sich ihrer prekären Situation bewusst, denn er musterte sie mit einem nachsichtig-verständnisvollen Blick.
Olivia, die bislang geschwiegen hatte, sagte in beiläufigem Ton: »Mr. Wells und ich haben etwas mit Ihnen zu
besprechen, Miss Holbrook. Kommen Sie, setzen Sie sich
doch. Möchten Sie einen Sherry?«
Lauren setzte sich auf den Stuhl, den Mr. Wells ihr hinschob, und lehnte den Sherry dankend ab. Olivias Silhouette
spiegelte sich in der Fensterfront, machte es für ihr Gegenüber aufgrund der Helligkeit mithin schwer, sie zu fixieren. Ob Ben gewusst hatte, wie strategisch günstig der
Schreibtisch stand? Sie musste blinzeln, um Olivia in die
Augen blicken zu können.
»Ich will ohne Umschweife auf den Kern unserer Diskussion kommen, Miss Holbrook. Es entzieht sich meiner
Kenntnis, wieso mein Gatte Sie nach Coronado einlud. Ich
hatte da eine gewisse Vermutung, die sich aber, nachdem
ich Sie kennen lernte, als haltlos erwies.« Lauren rätselte,
was sie damit meinte, indes vertiefte Olivia das Thema
nicht. »Jedenfalls schwebte meinem Mann vor, dass Sie
mindestens zwei Monate bei uns bleiben sollten. In der
Nacht, in der er den Infarkt hatte, drang er trotz seines kritischen Zustands immer wieder darauf, dass ich Ihnen diesen Aufenthalt ermögliche. Das war ihm offenbar wichtig.«
Lauren befeuchtete
Weitere Kostenlose Bücher