Bruce: Die Springsteen-Biografie (German Edition)
nur ein Bruchteil dessen, was ihn der Wagen ursprünglich gekostet hatte, doch Philbin war nicht interessiert. So blieb der auffällige Chevy in der Garage, bis Bruce ihn Jahre später an jemand anderen verkaufte. 2
Etwa zur gleichen Zeit beauftrage Bruce Rick Seguso, den ersten in einer ganzen Reihe von Roadmanagern, die Bruce Mitbewohner, persönliche Assistenten und Freunde waren, eine neue Bleibe für sie zu finden. Diesmal sollte es ein noch abgelegeneres Haus sein, das so groß war, dass Bruce komfortabel darin leben konnte und die Band genügend Platz hatte, darin zu proben – wenn es sein musste und ihm danach war, die ganze Nacht hindurch. Etwa zwei Wochen später fuhr Seguso mit Bruce zur Telegraph Hill Road in Holmdel, New Jersey, um sich dort ein Haus anzusehen, das auf einem Reiterhof lag, der zu einem ehemaligen Kavalleriestützpunkt gehörte. Das weitläufige Holzhaus bot viel Platz für die Band und ihr Equipment. Von der Terrasse aus blickte man auf ein großes Stahlbassin, das als Pool diente – die ehemalige Pferdewaschanlage –, dahinter lagen sanft ansteigende, grasbewachsene Hügel. Bruce schaute sich kurz um und unterschrieb den Mietvertrag, ohne lange zu überlegen. Genug Geld, um alleine für die Miete aufzukommen, verdiente er allerdings nicht, Segusos Beitrag war daher unverzichtbar. Doch selbst wenn das große Geld noch auf sich warten ließ, konnte Bruce die ersten Früchte seiner harten Arbeit schon einmal bestaunen, wenn er durch die Tür seines neuen Heims schritt oder von seinem Wohnzimmerfenster aus den Blick auf die grünen Hügel in der Ferne genoss. Das half zumindest zeitweise, die trübsinnigen Gedanken zu vertreiben, die sich in seinem Kopf eingenistet hatten.
Die Schwermut hatte sich seiner bereits kurz nach Beginn der Born to Run -Tour bemächtigt. Es war wenige Stunden vor dem Auftritt im viertausend Zuschauer fassenden Michigan Palace in Detroit am 4. Oktober 1975 gewesen. »Ich wollte nicht auf die Bühne«, erzählte Bruce Robert Hilburn ein paar Jahre später. Es spielte keine Rolle, wie gut Born to Run besprochen worden war und wie sehr man die Begeisterung des Publikums in der Halle spüren konnte. Aufgrund des großen Hypes, der um ihn gemacht wurde, hatte er das Gefühl, nicht mehr er selbst zu sein. »Man hielt mich für ein Retortenprodukt, etwas Unechtes, Künstliches.« Während er versuchte, sich auf den bevorstehenden Auftritt zu konzentrieren, fühlte er sich plötzlich vollkommen leer. Er hatte nichts mehr zu sagen, nichts mehr geben. Es lag alles schon offen da und wurde von ein paar Schmierfinken auseinandergenommen, als ob sich alles, was er von sich gab, jemand anderes ausgedacht hätte. »Aber ich wusste, wo ich herkam«, sagte Bruce zu Hilburn. »Kannte jeden Zentimeter des Weges, der hinter mir lag. Ich wusste, woran ich glaubte und was ich wollte.« Diese Gewissheit reichte aus, um ihn wieder auf die Bühne zu treiben. Und es funktionierte! Mit einem Mal war er wieder da, der romantische Rocker, der unnachgiebig seinen Standpunkt vertrat. Da stand er, in derselben Jeans, demselben schwarzen T-Shirt und derselben Lederjacke, die so viel von dem verrieten, wo er herkam und wohin er unterwegs war.
Niemand ahnte, wie sehr er an sich zweifelte, nicht einmal als er den Sprechgesang zu Beginn von »The E Street Shuffle« vortrug, wie eine Rock’n’Roll-Interpretation von Warten auf Godot : »Irgendwo gibt es einen Ort, irgendwie …«, begann er. »Obschon es immer schwieriger wird, ihn zu finden. Und, tja, irgendwann, irgendwie, irgendwo. Vielleicht ist er gerade nicht hier. Aber irgendwo, irgendwo heute Abend, Clarence, geht’s los. Sparks fly on E Street …«
Jetzt, wo fünfhunderttausend Dollar auf dem Spiel standen, die Appel von Columbia/CBS als Vorschuss kassiert hatte, und die Beziehung zwischen Bruce und seinem Manager nur noch an einem seidenen Faden hing, suchte er Rat bei dem Menschen, dem er inzwischen mehr als jedem anderen vertraute. Er flog nach Los Angeles, wo Jon Landau gerade Jackson Brownes Album The Pretender produzierte. Landau holte Bruce vom Flughafen ab und fuhr mit ihm zu einem Restaurant. Die Kluft zwischen ihm und Appel werde immer größer, erklärte Bruce. Er brauche jetzt einen Anwalt, aber er kenne keinen guten. Landau verschaffte ihm einen Termin bei Mike Mayer, der auch für ihn selbst bereits Mandate übernommen hatte. Mayer schüttelte den Kopf, nachdem er nur einen kurzen Blick auf die Verträge geworfen hatte.
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