Bruce: Die Springsteen-Biografie (German Edition)
sagte: ›Oh ja, das geht schon eher in die Richtung.‹« Human Touch klang Van Zandt einfach zu glatt und steril, als dass er den Songs etwas hätte abgewinnen können. Bruce sagt: »Er war über jeden Zweifel erhaben, mit seinem Urteil eigene Interessen zu verfolgen, denn er war ja schon lange vorher aus der Band ausgestiegen. Aber er bestand darauf: ›Nimm es mit der Band auf, dann wird es gut. Die Jungs sind dafür perfekt.‹ Schon möglich, dass er damit den Nagel auf den Kopf getroffen hat.« Landau hingegen war anderer Meinung. »Man muss sich nur mal vorstellen, wie viel Zeit wir auf Human Touch verwendet haben«, sagt er. »Es stecken einfach zu viel Herzblut, Schweiß und Tränen darin. Ich bin davon überzeugt, dass viele gute Songs auf dem Album sind. Ich fand es lediglich etwas unentschieden. Bruce war ziemlich schnell davon überzeugt, dass es das Beste sei, beide Platten rauszubringen.«
Die Situation auf dem Musikmarkt hatte sich in den letzten fünf Jahren deutlich verändert. Bruce war jetzt ein zweiundvierzigjähriger Familienvater, dessen Musik mit den tanzbaren Popsongs einer Paula Abdul ebenso wenig zu tun hatte wie mit dem Poprock eines Brian Adams oder dem Hardrock von Guns N’ Roses. Und wenig gemein hatte er auch mit den gerade angesagten Grunge-Bands aus Seattle, wie Nirvana, Pearl Jam oder Alice in Chains, die im Vergleich zu ihm ziemlich verbittert wirkten; ihre Welt schien nicht dieselbe wie seine zu sein. Hinzu kam, dass Bruce viele seiner treuesten Fans gegen sich aufgebracht hatte, weil er nicht nur seiner Heimat den Rücken gekehrt, sondern sich auch von der treuen Band getrennt hatte, die sich mit ihm von Asbury Park bis hinauf an die Weltspitze gekämpft hatte; gemeinsam hatten sie Ruhm, Reichtum und Einfluss erlangt. Dessen ungeachtet und ganz gleich, wie sehr sich die Musiklandschaft seit 1987 verändert hatte, gaben Bruce und Landau ihre übliche Bedachtsamkeit auf und erklärten dem neuen Vorsitzenden von Columbia Records 2 , Don Ienner, dass sie auf jeden Fall beide Alben veröffentlichen wollten. Und zwar beide am selben Tag. Aber nicht als Doppelalbum, sondern als zwei eigenständige, voneinander unabhängige Alben.
Etwas Ähnliches hatten bereits Guns N’ Roses wenige Monate zuvor gewagt, als sie ihre Alben Use Your Illusion I und Use Your Illusion II am selben Tag herausbrachten. Die Alben schlugen ein wie eine Bombe. Landau erklärte Ienner, dass es möglich sei, im Frühjahr 1992 einen vergleichbaren Coup mit dem geschliffenen Human Touch und dem raueren Lucky Town zu landen. Für Ienner spielten beide Acts in kommerzieller Hinsicht durchaus in derselben Liga (Guns N’ Roses waren zu jener Zeit noch auf dem Weg nach oben, während Bruce sich bewusst dagegen entschieden hatte, die Spitzenposition, die er Mitte der 80er-Jahre innehatte, verteidigen oder gar ausbauen zu wollen). Allerdings ging es ihm in dem Moment weniger um potenzielle Verkaufszahlen als um Bruce’ Gesamtwerk – ganz abgesehen davon, dass er die Wünsche eines der führenden Musiker seines Labels natürlich berücksichtigte. »Aus den beiden Alben eines zu machen, wäre sehr schwierig geworden, und es wäre mit Sicherheit nicht richtig gewesen«, sagt Ienner. »Sie unterschieden sich zu sehr voneinander. Und eines der beiden Alben unter den Tisch fallen zu lassen, war auch keine Lösung, vor allem nicht für Bruce. Daher sagten wir uns, Guns N’ Roses haben es gemacht, also versuchen wir es auch.«
Die am 31. März 1992 erschienenen Alben Human Touch und Lucky Town zeigten zwei komplett unterschiedliche Seiten von Bruce. Auf Human Touch war er der in sanftes Licht getauchte, reife Rocker, ein Hollywood-Pirat, ausstaffiert mit Silberschmuck, Seidenhemden und – auf weniger formellen Aufnahmen – einem schicken Fedora-Hut. Auf Lucky Town präsentierte er sich als lässiger Typ mit Dreitagebart in einem aufgeknöpften, zerknitterten Hemd, der offenbar gerade eine wilde Motorradfahrt hinter sich hatte. Obschon es auf beiden Alben um dieselben Höhen und Tiefen im Leben ging, war der jeweilige Blickwinkel ein anderer.
Human Touch wirkt wie das klug durchkonzipierte Werk eines Songwriters, der sich auf Rock’n’Roll ebenso gut versteht wie auf Old-School-Soul und urbanen Funk mit Sprechgesang. Wie schwierig es ist, eine emotional gefestigte Persönlichkeit zu werden, ist das übergeordnete Thema des Albums. Das rockige »Glorias Eyes« hat im Verlauf der Bearbeitungsphase seinen Biss verloren,
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