Bruce: Die Springsteen-Biografie (German Edition)
Aufnahmetechnik (ein weiterer Quantensprung in Sachen Homerecording) befasst und war sehr versiert in ihrer Anwendung. Angesichts einer langen und täglich länger werdenden Liste an Songs, die er aufnehmen wollte, bat Bruce Bittan ihn bei seinem nächsten Album als Koproduzent zu unterstützen. Der Professor sagte sofort zu. »Auch ich hatte ja diesen ›Es ist aus‹-Anruf bekommen, und mir ging es danach bestimmt nicht besser als den anderen.« Die restlichen E Streeter reagierten reserviert, als sie von der neuen Kooperation erfuhren. »Von mir aus habe ich nicht mit den anderen darüber gesprochen«, sagt Bittan. »Max rief mich gelegentlich an – wir hatten ein besonders enges Verhältnis, weil wir zur gleichen Zeit zur Band hinzugestoßen waren. Aber ich konnte seiner Stimme anhören, wie sehr es ihn mitnahm, dass ich mit [Bruce] arbeitete. Ich hatte, ehrlich gesagt, richtige Schuldgefühle. Es ist mit der Situation vergleichbar, wenn ein Flugzeug abstürzt und man selbst ist der einzige Überlebende. Ich fragte mich immer: ›Warum ich?‹«
Bruce beschäftigte indes die Frage: »Was jetzt?« Er rief Landau in New York an und bat ihn vorbeizukommen. In seinem Studio spielte er ihm die beiden neuen Songs »Roll of the Dice« und »Trouble in Paradise« vor. Dabei sang er den Text live zu der bereits eingespielten Musik. »Er war wahnsinnig aufgeregt wegen dieser beiden Songs, die mir beide gut gefielen«, sagt Landau. »Das gab uns neuen Antrieb.« So sehr Bruce davon überzeugt war, ohne die E Street Band neue Wege beschreiten zu wollen, so wenig war er bereit, sich von allen Menschen zu trennen, auf die er sich bisher immer hatte verlassen können. An der gewohnten Produzentenriege, zu der neben ihm selbst auch Landau und Plotkin zählten, änderte sich daher nichts, außer dass Bittan als neuer Koproduzent hinzukam. Um das Risiko, ausgetretene Pfade zu beschreiten, so gering wie möglich zu halten, stellte Bruce eine Bedingung: Bittan musste sich auf Synthesizer und Keyboards beschränken, das Klavier war für ihn tabu.
Mit einer Reihe von Aufnahmesessions im Heimstudio brachte die Zwei-Mann-Band bestehend aus Bruce und Bittan, unterstützt von Tontechniker Toby Scott, den Stein ins Rollen. Ein paar Wochen später zogen sie in die Ocean Way Studios um. Letztendlich landeten sie jedoch im Soundworks West, das als das ehemalige Motown Studio in L.A. Bekanntheit erlangte. Da ihn die E Streeter nun in keinerlei Beziehung einschränkten, orientierte sich Bruce an seinen musikalischen Wurzeln, wie den alten Soulhits, die ihm früh einen Begriff davon vermittelt hatten, wie leidenschaftlich Musik sein kann und wie man sie überzeugend darbieten kann. Er hatte seine kreative Blockade überwunden, und nun sprudelten die Ideen nur so aus ihm heraus. Ununterbrochen schrieb er Songs, bis er mehr hatte, als er je würde verwenden können. Die meisten wurden schon in der Bearbeitungsphase aussortiert. In den Nummern, die sich durchsetzten, ließ sich deutlich der Einfluss seiner Psychotherapie erkennen oder sie bedienten sich der eigentümlich optimistischen Sprache von Lebenshilferatgebern. »If I can fnd the guts to give you all my love/Then I’ll be feelin’ like a real man«, singt Bruce in »Real Man«. Und im Pendant zu diesem Song, »Man’s Job«, heißt es: »Gettin’ up the nerve is a man’s man’s job/Lovin’ you’s a man’s job.« In anderen Songs wie »Cross My Heart« und »All Or Nothin’ At All«, in denen das reine Begehren im Mittelpunkt steht, geht er das Thema weitaus direkter und emotionaler an, insgesamt klangen aber alle Songs wie posttherapeutische Verhaltensratschläge.
Wieder einmal fürchtete Bruce, an einem entscheidenden Wendepunkt seiner Karriere angekommen zu sein. Das verunsicherte ihn so, dass die Aufnahmen nur im Schneckentempo vorankamen. Die Sessions zogen sich über ein Jahr hin, und ein Ende war immer noch nicht in Sicht. Er war fest entschlossen, sich einerseits der Zukunft zu öffnen und gegenüber Neuerungen aufgeschlossen zu sein, und andererseits dem Geist treu zu bleiben, der seine Musik seit jeher durchdrang. Und so kam es, dass Bruce und seine Mitproduzenten die für die 90er-Jahre typischen Synthesizer-Drum-Loop-Sounds unter den Klang seiner Reibeisenstimme und seiner rockigen Gitarre mischten. Weil sie hofften, dass exzellente Instrumentalisten den Songs mehr Wärme und Lebendigkeit verleihen könnten, engagierten sie eine Riege erstklassiger Studiomusiker:
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