Bruce: Die Springsteen-Biografie (German Edition)
hin zu dem merkwürdig grün leuchtenden Likör, der die beiden Musiker und den Freund, der bei ihnen war, fast ausknockte. »Ich hatte gerade erst mit dem Trinken angefangen, also kippte ich in mich rein, was immer man mir vorsetzte«, so Bruce. »Mein Motto lautete: ›Eigentlich schmeckt mir nichts davon, also trinke ich alles.‹« Aber dann kam es zu dieser Begegnung mit dem grünen Chartreuse. 1 »Clarence hätte vielleicht sogar die ganze Flasche vertragen 2 , aber ich und mein Kumpel [von dem er nur noch weiß, dass er »Jimmy« hieß] machten nach der Hälfte schlapp. Das Zeug kam uns wieder hoch, mein Kumpel rannte zur Tür und steuerte direkt auf die Bordsteinkante zu. Mir brach am ganzen Körper der Schweiß aus. Es war ziemlich amüsant.«
Clemons ließ seine Vergangenheit Revue passieren: das Leben in Norfolk County, Virginia, wo er in den 40er- und 50er-Jahren aufgewachsen war, der Vater Hafenarbeiter, die Mutter Lehrerin, stets korrekt und keine Widerworte duldend. Er beschrieb seine frühen Jahre als unentwegte Suche nach dem Heiligen Gral: ein unbewusstes, viele Jahre währendes Ausschauhalten nach dem einen Musiker, der stark genug war, um mit ihm das Tor zu einer neuen Transzendenz aufzustoßen. »Ich war immer auf der Suche«, sagte Clemons und erzählte von den Gospelchören, die er jeden Sonntagvormittag singen hörte, und vom dem glänzenden Saxofon, das er zu Weihnachten bekam, als er neun Jahre alt war. Seine nachmittäglichen Heldentaten auf dem Footballfeld seiner Highschool und im Eastern Shore Stadium der University of Maryland bedeuteten ihm zwar etwas, doch ihm war klar, dass das nicht seine Zukunft sein würde. Wie die aussehen sollte, zeichnete sich in den vielen Stunden ab, die er in seinem Zimmer saß, Platten hörte und sich mit großen Saxofonisten wie King Curtis und Boots Randolph zu messen versuchte. Seine Begeisterung für die Musik verlieh ihm Flügel. Doch es war nicht nur sein großes Talent, das Aufmerksamkeit weckte. Mehr oder weniger seit seinem ersten Auftritt mit seiner ersten Band stand Clemons bei jedem Konzert optisch im Mittelpunkt. Der imposante Riese mit der kräftigen Stimme und der enormen Ausstrahlung ließ bei jedem Schritt die Bühne erzittern, während sein im Lichterglanz funkelndes Tenorsaxofon Rock, R&B, Jazz und Gospel miteinander verband.
Mit einem Abschluss in Soziologie in der Tasche, begann Clemons 1964 bei den Cleveland Browns eine Karriere als Football-Profi, die er jedoch nach einem Autounfall, bei dem beide Knie zertrümmert wurden, vorzeitig beenden musste. Daraufhin zog er nach New Jersey und nahm eine Stelle als Vertrauenslehrer für verhaltensgestörte Kinder an der Jamesburg Training School for Boys an. Gleichzeitig übernahmen er und seine erste Frau Jackie dort den Posten als Hausmeister, mit dem das Privileg verbunden war, eine Wohnung auf dem Schulgelände beziehen zu dürfen. Abends verdingte sich Clemons als Musiker, zunächst in einer Soul-Jazz-Coverband namens The Entertainers, dann in Norman Seldins Joyful Noyze, deren kompakter Sound beim Publikum so gut ankam, dass sie in der Regel Monate – für einige Termine sogar ein Jahr – im Voraus ausgebucht waren. Clemons, der nach nur einer einzigen Jamsession aufgenommen worden war, wurde schon bald zum Aushängeschild der Gruppe. Gleichzeitig war er ein rotes Tuch für alle Veranstalter, die es nicht ertragen konnten, dass sich ein Farbiger in ihrem Club aufhielt. Seldin war völlig gleichgültig, was diese Leute dachten. »Einer dieser Typen bezeichnete mich mal als beschissenen Nigger-Freund«, erinnert er sich. »Daraufhin sagte ich: ›Okay, dann lassen wir das mit dem Gig halt bleiben. Fahr zur Hölle.‹« Das Geschäft lief auch so bestens, wozu Clemons mit seinem Charisma und seiner Bühnenpräsenz das Seinige beitrug. Für ihn war Musikmachen mehr als ein Nebenjob, und so nahm der Saxofonist sein Instrument an seinen freien Tagen überall hin mit. Wenn er an einer Bar vorbeifuhr, aus der Musik nach draußen drang und in der etwas los zu sein schien, hielt er sofort an und warf einen Blick hinein, um zu sehen, ob er mit der Band, die dort spielte, jammen konnte. »Ich nenne das die Zeit meiner Suche«, sagte er. »Es war die Zeit, die ich damit verbrachte, Bruce zu finden.«
Der war sich im Herbst 72 ganz sicher, dass dieses Kribbeln, das er am ersten Abend mit Clemons an seiner Seite auf der Bühne des Student Prince verspürt hatte, keine Einbildung gewesen war. Mochte
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