Bruce: Die Springsteen-Biografie (German Edition)
falsch.«
Bruce hatte wenige Tage vor diesem Ereignis einen Auftritt von Joyful Noyze in der Wonder Bar gesehen. Der Bandleader der Gruppe war der Keyboarder Norman Seldin; die Sängerin war Bruce’ Ex-Freundin Karen Cassidy. Sie hatte Bruce von dem charismatischen Saxofonisten erzählt, der zusammen mit ihr auf der Bühne stand. Nachdem sie ihren Auftritt beendet hatten, ging Cassidy zu Bruce hinüber, um ihn zu begrüßen. »Er hatte diesen Glanz in den Augen«, sagt sie. »Er erkundigte sich nach Clarence, und ich lachte. ›Ich wusste es! Du wirst ihn uns abluchsen!‹« Aber was hätte sie machen sollen? Cassidy ging zurück zu Clemons und deutete auf Bruce, der an der Bar saß und eine Pepsi trank. »Ich erklärte ihm, dass ich einen Freund hätte, der ein großer Star werden würde, und dass er ihn unbedingt kennenlernen müsse«, erzählt sie. Als die Bruce Springsteen Band kurz darauf im Student Prince auftrat, das nur wenige Blocks die Kingsley Street hinunter lag, schlug sie Clemons vor, sich die Jungs mal anzusehen. Draußen tobte ein heftiger Regensturm, aber Clemons störte das nicht. Er packte sein Saxofon in den Instrumentenkoffer und marschierte los.
Als er das Student Prince betrat – und der Sturm die aus den Angeln gerissene Tür hinter ihm die Straße entlang mit sich riss –, fasste er sofort den schmächtigen, bleichen Typ ins Auge, den er wenige Tage zuvor in der Wonder Bar gesehen hatte. Die Band machte gerade eine Pause, aber Bruce sah ihn kommen und fühlte sich plötzlich wie benommen, wie er viele Jahre später berichtete. »Hier kommt mein Bruder, hier kommt mein Saxofonist, meine Inspiration, mein Partner, mein Freund für’s Leben.«
Irgendetwas lag in der Luft, so viel war sicher. Als Cassidy Clarence den anderen vorstellte, deutete der auf sein Instrument, das er durch den Regen geschleppt hatte. Ob er während des nächsten Blocks mit ihnen spielen könne? Aber klar, natürlich könne er. Wenige Minuten später ging Clemons zusammen mit den anderen auf die Bühne und wartete darauf, dass jemand einzählte. Er erinnerte sich, dass die Band mit einer unbekannten Instrumentalnummer begann.
»Ich werde nie vergessen, wie ich mich gefühlt habe, als wir den ersten Ton spielten«, sagte er. »Es war so bezwingend, so echt, so aufregend für mich. Ich hatte so lange danach gesucht und jetzt, Gott sei dank, war ich endlich, endlich da, wo ich hingehörte.« Bruce sah das genauso. Selbst während dieser spontanen Jamsession in dieser schäbigen Bar, bei der nur die Hälfte des Publikums im halbvollen Zuschauerraum die Musik interessiert verfolgte, knisterte es auf der Bühne gewaltig. »Neben Clarence zu stehen war, als stünde man neben dem coolsten Kerl dieses Planeten«, schrieb Bruce später. »Man war stolz, man war stark, man war aufgeregt und freute sich auf das, was kommen mochte und was man gemeinsam erreichen konnte.«
Es dauerte allerdings neun Monate, bis Bruce und Clemons ein weiteres Mal zusammen auftraten: Als Bruce im Juni 72 bei einem Gig von Clemons in der Shipbottom Lounge in Point Pleasant auftauchte, bestand Clemons darauf, dass er mit ihm und der Band jammte. Also lieh Bruce sich eine Gitarre. Die Musiker hatten dieselben Rock- und Soul-Oldies drauf wie er, und der Groove, den sie im Student Prince gefunden hatten, stellte sich sofort wieder ein. Später tauschten sie Telefonnummern aus – Bruce schrieb den Nachnamen seines neuen Bekannten fälschlicherweise »Clemens« – und nahmen sich vor, in Kontakt zu bleiben. Diesmal vergingen nur wenige Wochen, bis Bruce erneut ein Konzert von Joyful Noyze besuchte und ein weiteres Mal mit Clemons jammte. Die Sympathie zwischen ihnen wuchs, und nach dem Ende des Auftritts setzten sie sich zusammen, tranken etwas (mit zweiundzwanzig hatte Bruce seine strikte Abstinenz aufgegeben) und kamen ins Gespräch. Aus diesem Absacker in den frühen Morgenstunden wurde ein mehrere Tage währendes Abenteuer. »Zwei, drei Tage lang besuchten wir nonstop Bars, unterhielten uns und hörten Musik«, erzählte Clemons. »Die Erinnerung daran ist mittlerweile sehr verblasst, aber es kribbelt noch immer, wenn ich daran denke.«
In Anbetracht es Glanzes, der in seinen Augen lag, als er dies sagte, ist schwer zu sagen, ob Clemons von einer tatsächlichen Begebenheit berichtete oder ob das, was er erzählte, lediglich eine Allegorie seiner engen Seelenverwandtschaft mit Bruce war. Wieder einmal bestätigt der allerdings die Geschichte, bis
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