Bruce: Die Springsteen-Biografie (German Edition)
Publikumslieblinge schnell wieder aussortiert. »Thundercrack« wurde schon recht früh verworfen, ebenso wie »Zero and Blind Terry«, »Seaside Bar Song«, »Santa Ana« und auch die Nummer, die eigentlich jeder für einen potenziellen Hit hielt: Bruce’ R&B-Ballade »The Fever«. All diese Titel schieden aus demselben Grund aus: Sie passten nicht zu dem Film, den Bruce in Gedanken schrieb und drehte. Teils in New Jersey, teils in den Ecken von New York spielend, die sich Bruce inzwischen erschlossen hatte – und die er für seine ureigene Fassung der West Side Story allesamt neu erfand –, versammelte das Album Geschichten rund um das Thema Freiheit; Freiheit, die durch Musik erlangt wird, durch Freunde, Partner oder auch durch die Erkenntnis, dass selbst ein Müllsucher wie Fred Springsteen erhobenen Hauptes und mit einem Lied auf den Lippen seiner Wege gehen kann.
Angesichts von Bruce’ wiedererwachter Liebe für den vollen Sound der Band beginnt »The E Street Shuffle«, der erste Song auf dem neuen Album, passenderweise mit den Klängen einer sich einspielenden Bläsercombo. Dem kurzen Intro folgt ein übermütiger R&B-Gitarrenriff (dem Song »The Monkey Time« des Soul-Sängers Major Lance von 1963 entlehnt), der wiederum den Groove vorgibt, dem die Band kurz darauf folgt. Inhaltlich geht es in dem Song um einen typischen Abend im Leben der Straßenkids und Gauner, die die legendäre E Street 2 bevölkern, wenn es dunkel wird und die Party beginnt. Es passiert im Grunde nichts Außergewöhnliches. Jeder kreuzt einfach irgendwann auf, und als die Band loslegt, eilen auch noch die letzten Nachtschwärmer herbei um zu tanzen. Die Bläser schmettern, was das Zeug hält, und die Rhythmusgruppe gibt ein flottes Tempo vor, während das Clavinet munter vor sich hin klimpert und die Gitarre zeigt, was in ihr steckt.
Gegen Ende des Songs stehlen sich die zentralen Figuren Power Thirteen und Little Angel von der Tanzfläche »and they move on out down to the scene«. Vielleicht führt sie ihr Weg zum ruhigeren Ende der Straße, wo der Sänger von »4th of July, Asbury Park (Sandy)« mit seiner Akustikgitarre versucht, irgendetwas von Bedeutung hinter den Jahrmarktlichtern und durch den Hot-Dog-Dunst hindurch zu entdecken. Er hat unziemlicherweise die Tochter seines Chefs verführt, doch ob Flucht für sie eine echte Option oder lediglich eine fixe Idee ist, bleibt offen.
Der nächste Titel führt uns weg von der Küste, hinein in das pralle Großstadtleben von New York. Die Tom-Waits-trifft-auf-die- Aristocats -Lyrics von »Kitty’s Back« werden nicht nur von längeren Instrumental-jams unterbrochen, sondern auch von einem ausgedehnten Gitarrensolo, bis heute das einzige, das Bruce je auf einer Studioaufnahme verewigt hat.
Die B-Seite des Albums beginnt mit den leisen Klavierklängen von »Incident on 57th Street«. Der Song erzählt von Spanish Johnny und Puerto Rican Jane 3 , einem Liebespaar, das sich eine kurze Auszeit von Bandenkriegen, Polizeirazzien und einer extremen Hitzewelle gönnt. Hier besteht die Freiheit in der vagen Aussicht auf ein besseres Leben in einem anderen Teil der Stadt, »where paradise ain’t so crowded«. Doch wie bei Shakespeare ist das Paradies nicht von Dauer: Johnny verschwindet auf der Suche nach dem schnellen Geld und lässt Jane mit einem nichtssagenden Versprechen zurück: »We may walk until the daylight, maybe.«
Mit dem letzten Song des Albums, der knapp zehnminütigen Ballade »New York City Serenade«, kehrt die Handlung in die Großstadt zurück, wo sich das Leben der Gauner fortwährend zwischen Glanz und Elend abspielt. David Sancious gibt mit seinem Pianointro in einem Tschaikowski-trifft-Mingus-Stil den dramatischen Ton des Stückes vor und fällt dann in ein simples Akkordmuster, zu dem sich Bruce’ Akustikgitarre und die sanften Rhythmen der von Richard Blackwell – einem Nachbar aus Bruce’ Kindheitstagen – gespielten Congas gesellen. Mehr füsternd als singend schildert Bruce seine eigene Version der West Side Story, in der nur die eigene Würde und die kleinen Freuden des Lebens zählen. Ein Vibraphonist auf einer Jazzclubbühne möchte sich seiner eigenen Melancholie hingeben, doch gegen den Charme eines Mülltauchers, der einen Satinanzug trägt und mit einem Lied auf den Lippen durch die Straßen zieht, kommt er nicht an. »Listen to your junk man, listen to your junk man«, flüstert Bruce. »He’s singing, he’s singing, he’s singing …«
Was
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