Bruce: Die Springsteen-Biografie (German Edition)
stockfleckigen Schalldämmplatten getäfelt. Bruce nickt dem verhalten applaudierenden Publikum zu und setzt sich auf einen Barhocker. Danny Federici sitzt ein Stück weiter hinter ihm zu seiner Rechten und wartet auf seinen Einsatz, während Bruce mit der Akustikgitarre hantiert und das Publikum mit ein paar Worten einstimmt. »Versetzen wir uns zurück in den schicksalhaften Sommer 73. Junge Frauen schlendern die Promenade auf und ab, Jugendliche vertreiben sich die Zeit am Flipper.« Dann senkt er die Stimme fast zu einem Flüstern: »Es ist die Zeit um den 4. Juli …« Nach dem sehr verhalten gespielten, nur von Federici begleiteten »Sandy« kommt der Rest der Band auf die Bühne. Alle konzentrieren sich auf David Sancious und sein größtenteils improvisiertes Intro zu »New York City Serenade«.
Vor ihnen sitzen fünfzig bis sechzig Studenten. Bruce – in engem T-Shirt und Jeans, mit einem lichten, kurz getrimmten Bart – ist wie immer ein souveräner Bandleader. Auf »Spirit in the Night« folgt eine Coverversion von Rufus Thomas’ »Walking the Dog« mit etlichen abrupten Breaks; die kurzen Momente der Stille werden durch eine Trillerpfeife beendet oder einem von Clemons gemurmelten »What it is!«, das der Band signalisiert, in voller Lautstärke weiterzuspielen. Diese Prozedur wiederholt sich einige Male, der Song bekommt immer mehr Drive, dann beginnt eine Pause, nichts mehr, kein Triller, kein Geräusch, gar nichts. Bruce steht einfach da und starrt mit leerem Blick ins Publikum. Zehn, fünfzehn, zwanzig Sekunden lang. Dann lässt er langsam den Blick kreisen, intensiviert die Spannung, starrt wie eine Eule in die Menge. Ein kurzes Achselzucken, ein leises »Huh«, und die Band stimmt die nächste Strophe an, während das Publikum lautstark Beifall klatscht. Beim letzten Song des Abends, »Thundercrack«, stehen auch die anderen Bandmitglieder der Reihe nach im Rampenlicht. Den Höhepunkt bildet Bruce’ Gitarrensolo. Während des langsamen, fast schon geräuschlosen Teils des Solos zieht Bruce geradezu chaplineske Grimassen: Nur mit äußerster Anstrengung, so scheint es, kann er die Gitarre spielen, und mit seinem Mund ahmt er mimisch das Grollen der tiefen Töne nach. Als Clemons einen falschen Ton trifft, gebietet Bruce der gesamten Band Einhalt. Sein Gesicht in gespielter Verzweiflung verzogen, sagt er: »Warum bezahle ich diesen Jungs hier eigentlich fünfzig Dollar pro Woche? Für so was?«
Clemons, Lopez, Sancious, Federici und Tallent, die inzwischen offiziell als E Street Band firmierten, waren ein tragender Pfeiler in Bruce’ Show geworden und trugen erheblich zu seinem exzellenten Ruf bei. Allen wurden während der Konzerte mehrere Soli zugestanden; sie durften spielen, was sie wollten und so lange sie wollten. »Mit einer Band, in der alle hinter mir her dackeln, könnte ich nichts anfangen«, erklärte Bruce 1974 in einem Interview. »Ich will, dass sie richtig abgehen … Ich habe fantastische Musiker an meiner Seite, ich lasse sie aus sich rausgehen, lasse sie spielen. Manchmal heißt es einfach nur: ›Übernimm du jetzt, und wenn du fertig bist, lass es mich wissen!‹ So läuft das bei uns.«
Wie bei dem neuen Speed-Jazz-Arrangement von »Blinded by the Light«, bei dem Bruce mit seiner Gitarre fast jede Textzeile kommentierte, worauf Federici mit ein paar Orgelläufen antwortete, Clemons mit seiner besten King-Curtis-Einlage, Sancious mit Blues-Einlagen und Lopez mit ein paar Fills. Vom rasanten Spiel der Band und den Glanzleistungen seiner Kollegen angespornt, entfernte sich Lopez gelegentlich so weit vom vorgegebenen Tempo, dass Tallent sich irgendwann fragte, ob er noch bis vier zählen konnte. »Vini stürzte sich in ein Fill, und als wir anderen auf der Eins einsteigen mussten, war er nicht zur Stelle. Er funkelte mich an, und ich dachte: ›Oh, oh, jetzt stecke ich in Schwierigkeiten.‹« Geschwindigkeit und Gefahr gingen Hand in Hand, und das Einzige, was noch aufregender war, als auf das scheinbar unabwendbare völlige Auseinanderdriften zuzurasen, war der Moment, in dem sich alles wieder harmonisch zusammenfügte – nur um anschließend wieder in eine andere Richtung abzudriften. »Hyperaktivität war unser Geschäft«, so Bruce viele Jahre später.
Auch Appel gab alles, um seine Ziele zu erreichen. Als er hörte, dass die Vertriebsabteilung von CBS im Februar in Nashville tagte, organisierte er ein Konzert in der Nähe des Hotels, in dem die Mitarbeiter abstiegen;
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