Bruce: Die Springsteen-Biografie (German Edition)
sich bei all der Romantik, dem Herzschmerz und den Highways offenbart, ist eine nomadische Existenz, geerdet durch Musik, Kameradschaft und Schraubenschlüssel, ein Bild, das zu dem verträumten Großstadtpoeten passt, der in so vielen Songs lebendig wird. Die Rückseite des Albumcovers zeigt Bruce als lässig verlotterten Straßendichter in schwarzen Converse, einem grünen Muskelshirt, mit einem Armreif am Handgelenk und einem um die gertenschlanke Taille gewundenen Ledergürtel, daneben Typen, die wie Herumtreiber wirken und doch anziehend sind: der große, breite Clemons, barfuss und in Shorts, mit offenem Hemd, Ballonmütze und locker geknotetem Halstuch; Lopez, der alle überragt, in seinem offenen Hawaiihemd; Sancious, ebenfalls barfuß, in einem dunklen Dashiki-Hemd, und der langhaarige, vollbärtige Tallent neben dem unschuldig lächelnden Federici, dem der Schalk im Nacken sitzt.
Im Zuge der Aufnahmen zu The Wild, the Innocent & the E Street Shuffle scheint Bruce eine Wandlung durchgemacht zu haben. Sonny Kenn, ein Gitarrenvirtuose aus Asbury Park, der auch als Senior immer noch die regionale Musikszene unsicher macht, erinnert sich an eine Show in East Brunswick. Aus dem jungen, ganz und gar unprätentiösen Rocker war etwas völlig anderes geworden. »Er zog plötzlich diese coole Nummer ab, hockte in der hintersten Ecke der Garderobe und sagte in Tom-Waits-Manier: ›Heeey, Maaaan.‹ Ich fand das völlig daneben; das war nicht der Kerl, den ich kannte«, sagt Kenn. »Trotzdem ist The Wild and the Innocent meiner Meinung nach eines seiner besten Alben. Es ist so experimentell, da steckt so viel drin. Wenn er danach aufgehört hätte, hätte das jedem anderen schon für eine große Karriere gereicht.«
Doch bei Columbia herrschte alles andere als grenzenlose Freude über The Wild, the Innocent & the E Street Shuffle. Das lag zum einen am kommerziellen Misserfolg von Greetings, zum anderen daran, dass das neue Album weder vom Sound noch vom Konzept her in irgendeine Schublade passte. Selbst Hammond raufte sich die Haare, weil die erste Singleauskopplung »The E Street Shuffle« mit vier Minuten und zwanzig Sekunden Spielzeit eine gute Minute länger war als die meisten Songs, die damals im Radio gespielt wurden. Ohne Clive Davis strahlte Bruce’ Stern lange nicht mehr so hell wie zuvor. Der neu unter Vertrag genommene Billy Joel, dessen melodiöse Klaviernummern erheblich Mainstream-kompatibler waren als die Songs von Bruce, drohte ihn in den Schatten zu stellen. Charles Koppelman, der gerade zum A&R-Chef befördert worden war, hatte Joel zu Columbia geholt und sich geschworen, alles daran zu setzen, seinen Schützling groß herauszubringen. Selbst wenn die dazu erforderlichen Investitionen zu Lasten eines anderen jungen Musikers gingen. So war das eben im Musikbusiness.
The Wild, the Innocent & the E Street Shuffle wurde am 11. November 1973 veröffentlicht und verkaufte sich etwas besser als sein Vorgänger; in der Vorweihnachtszeit gingen etwa zweitausend Exemplare pro Woche über den Ladentisch. Bei den Kritikern kam das neue Album genauso gut an wie Greetings knapp ein Jahr zuvor: Für Ken Emerson vom Rolling Stone war es eines der besten Alben des Jahres, Ed Ward von Creem fand es einfach »phänomenal«. Andere Rezensenten folgten im Großen und Ganzen diesen Einschätzungen. Darüber hinaus wurde »Rosalita« des Öfteren von einigen FM-Sendern an der Ostküste und im Mittleren Westen gespielt, was zu einem großen Teil dem geradezu missionarischen Eifer von DJs wie Ed Sciaky aus Philadelphia und Kid Leo aus Cleveland zu verdanken war. Beide hatten bei ihren Vorgesetzten darum gekämpft, Platten von Bruce spielen und, wenn er in der Stadt war, Liveübertragungen seiner Konzerte senden zu dürfen.
Ähnlich wie die Figuren in »New York City Serenade« schwankte Bruce’ zwischen Triumph und bitterer Enttäuschung hin und her. Einerseits gewann er mit jeder Show neue Fans hinzu, von denen viele wieder neue Leute zum nächsten Konzert mitbrachten – zur Freude der Veranstalter. Andererseits gab es Stimmen, die gerade in dieser enormen Mobilisierungsfähigkeit ein Problem sahen – zum Beispiel einige Musikerkollegen, deren Manager an Appel schrieben, dass sie Springsteen, der durchaus ein netter Kerl sei, nur ungern in ihrem Vorprogramm haben wollten, weil er mit seiner mitreißenden Art das Publikum für alle nachfolgenden Acts komplett verdürbe. Tallent erinnert sich, dass selbst gestandene
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