Bruce: Die Springsteen-Biografie (German Edition)
Musiker wie Jackson Browne und Bonnie Raitt (oder deren Konzertagenten) Bruce als Anheizer zwischenzeitlich ablehnten. »Wir waren natürlich immer noch mit ihnen befreundet«, sagt Tallent über diese Musiker. »Aber ich glaube, es gab da ein paar Shows, bei denen sie das Gefühl hatten, dass sie das Publikum nicht ganz so begeistert empfing, wie sie es gewohnt waren.«
Die Verkaufszahlen von The Wild entsprachen nicht den Erwartungen, die Columbia an das zweite Album eines vielversprechenden Newcomers stellte. Anfang 74 waren von den weniger überzeugten Mitarbeitern, die bei Columbia Einfluss hatten – etwa die Buchhalter, die die vierteljährlichen Zwischenbilanzen aufstellten –, erste Unmutsbekundungen zu vernehmen: Wo ist dieser Springsteen im Moment überhaupt? Ist das nicht dieser missmutige Kerl, der auf der Vertriebskonferenz in San Francisco so eine grauenhafte Vorstellung abgeliefert hat?
»Es gab etliche Meetings, bei denen wir über unsere Vertragskünstler diskutierten«, sagt der A&R-Manager Michael Pillot über diese Zeit bei Columbia. »Und nicht nur einmal wurde die Überlegung angestellt, Bruce zu kündigen.« Nicht alle Columbia-Mitarbeiter sehen es im Nachhinein so, dass Bruce damals auf der Kippe stand. »Die Verkaufszahlen entsprachen zweifellos nicht den Erwartungen«, erklärt Bruce Lundvall, der Nachfolger von Clive Davis. Doch schon das erste Springsteen-Konzert, das er in diesem Winter sah, überzeugte ihn davon, dass Bruce ein großer Star werden würde. »Und das habe ich so auch kommuniziert.« Trotzdem befanden sich die größten Bruce-Fans der Plattenfirma in höchster Alarmbereitschaft. Als dem Chef der PR-Abteilung, Ron Oberman, die Gerüchte über eine mögliche Kündigung von Bruce’ Vertrag zu Ohren kamen, setzte er eine Petition auf, in der er Koppelman bat, Bruce noch eine Chance zu geben. Dieses Schreiben, von einem halben Dutzend weiterer Mitarbeiter unterzeichnet, verschaffte ihnen ein wenig Zeit, doch machte es Bruce immer noch nicht zu einem gern gesehenen Künstler bei Columbia.
Als dem neuen CBS-Chef Walter Yetnikoff auffiel, wie oft sich Bruce im Büro seines Freundes Peter Philbin aufhielt, rief er seinen Mitarbeiter zur Ordnung. »Dieser Typ verkauft keine Platten!«, schimpfte Yetnikoff. »Das wird doch nie was mit dem. Und jetzt hält er Sie auch noch von der Arbeit ab. Ich will, dass das aufhört.« Philbin will daraufhin gesagt haben: »Was für eine gequirlte Scheiße. Sie haben ja nicht die geringste Ahnung, wohin es dieser Typ noch bringen wird.«
Yetnikoff fiel für einen Moment die Kinnlade herunter, dann stürmte er ohne ein weiteres Wort davon. Doch weder feuerte er Philbin für sein unverschämtes Verhalten, noch kündigte er Bruce. Stattdessen stimmte er einer Kompromisslösung zu: Columbia/CBS schossen Bruce und Appel noch einmal Geld vor, um eine Single zu produzieren. »Er sollte eine gute Single aufnehmen«, so Lundvall. »Würde sie tatsächlich ein Erfolg werden, wollte das Label weiteres Geld lockermachen, um ein ganzes Album zu produzieren. Falls nicht, müssten sie eben noch einmal ganz von vorn anfangen.«
Bruce ließ sich darauf ein (er hatte keine andere Wahl), aber er war nicht begeistert. »Sie wollen sich in alles einmischen«, beschwerte er sich im Gespräch mit J. Garrett Andrews vom Daily Herald der Brown University im Frühjahr 74. »Und das gefällt mir nicht. Ich will einfach meine Musik machen und ansonsten in Ruhe gelassen werden. Sie nerven mich mit einer Single. Vielleicht meinen sie es ja wirklich gut, aber ich habe da so meine Zweifel.«
Aber was er von den Beweggründen der Plattenfirma hielt, spielte keine Rolle. Anfang 74 reduzierte sich Bruce’ Zukunft auf ein Endspiel, auf eine einzige Top-oder-Flop-Single, die ihn entweder weiterbringen oder das Ende seiner Karriere einläuten würde.
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1 Dylan, das muss an dieser Stelle einmal erwähnt werden, war zu jener Zeit gerade einunddreißig Jahre alt, äußerst produktiv und benötigte gewiss keinen Nachfolger.
2 Benannt nach der ruhigen Wohnstraße in Belmar, in der Sancious mit seiner Mutter lebte.
3 Wem Johnny und Jane nachempfunden sind, wird in der zweiten Strophe klar, wo Johnny sich wie »cool Romeo« verhält und Jane ihrem Herzen folgt wie »a late Juliet«.
Kapitel 11
HYPERAKTIVITÄT WAR UNSER GESCHÄFT
Am 15. Dezember 1973 betritt Bruce die Bühne des Studentenwerks im Nassau Community College. Die Decke ist mit abbröckelnden,
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