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Bruce: Die Springsteen-Biografie (German Edition)

Bruce: Die Springsteen-Biografie (German Edition)

Titel: Bruce: Die Springsteen-Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ames Carlin
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er setzte auf Guerillataktik, um Bruce’ Ansehen bei den Leuten, von deren Urteil einiges abhing, wieder aufzupolieren. Doch der Plan schlug fehl: Obschon Appel in der Gegend Unmengen an Flyern verteilte, ließ sich niemand von CBS bei der Show blicken. Diese stumme Zurückweisung bestärkte Appel allerdings nur noch mehr darin, das Label, die Musikindustrie, ja die ganze Welt von Bruce’ Talent überzeugen zu müssen. Er ließ sich noch gewagtere Aktionen einfallen.
    Zu Weihnachten verschickte er an die Radiosender, die sich weigerten Bruce in ihren Programmen eine Chance zu geben, Päckchen, in die er eigenhändig Kohlestückchen für die bösen Kinder (es waren Holzkohlebriketts) packte. Legendär ist auch sein Anruf beim Big Boss von NBC, den er zu überreden versuchte, Bruce die Bühne beim Super Bowl – ja, er meinte allen Ernstes beim Super Bowl! – zu überlassen, um dort mit der Antikriegsnummer »Balboa vs. the Earth Slayer« aufzutreten. So war Appel nun mal, egal ob in Briefen, bei Telefonaten, in Telegrammen oder bei den knallharten Verkaufsgesprächen, die er führte. Oft folgten weitere Briefe, Telefonate und so fort, in denen Appel nicht unbedingt diplomatische Töne anschlug, wenn er das Gefühl hatte, auf Widerstand zu stoßen. »War ich zu aggressiv oder zu eigensinnig?«, fragt er. »Manche glauben das. Aber diese wahnwitzige Wir-greifen-nach-den-Sternen-Einstellung war typisch für diese frühen Jahre. Man sieht ja, wohin es geführt hat.«
    Entsprach sein Verhalten in gewisser Weise nicht dem, was Bruce und seine wilde Band auf der Bühne boten? »Keine Frage, Appel ist ein ziemlich ruppiger Typ. Er hat diese New Yorker Art an sich«, sagt der in L.A. geborene und aufgewachsene Peter Philbin. »Aber ich habe nie einen Manager gesehen, der von seiner Sache überzeugter war als Mike. Sein Glaube war unerschütterlich.« So unerschütterlich, dass ihm die Floskeln des Rock’n’Roll-Business nicht ausreichten, um die Einzigartigkeit seines Schützlings zu beschreiben. »Bruce Springsteen ist kein einfacher Rock’n’Roll-Act«, beschwor er Freunde, Kollegen und vor allem Produzenten, Konzertagenten, Programmdirektoren sowie alle anderen, die ihm zuhörten. »Er ist eine Religion.«
    Wie jeder wahre Apostel opferte Appel alles, was nötig war, um Bruce dahin zu bringen, wo er hingehörte: nach oben, an die Spitze. Wenn sich Geld sparen ließ, indem man das Gehalt von Bob Spitz halbierte oder dessen Posten schließlich sogar ganz strich, weil Appels kleiner Bruder Stephen gerade die Highschool abgeschlossen hatte und umsonst arbeitete, dann verabschiedete man sich halt von Spitz. Coproduzent und Comanager Jimmy Cretecos verschwand irgendwann ebenfalls von der Bildfläche, entweder weil er nicht mehr glaubte, dass mit Bruce in Zukunft Geld zu verdienen war oder aufgrund interner Querelen, über die heute niemand mehr sprechen mag – vor allem nicht der zurückhaltende Cretecos, der gequält erklärt, dass er für die kleine Rolle, die er in Bruce’ Karriere gespielt hat, genug gelitten habe und kein Wort mehr darüber verlieren werde, ganz gleich wie viel es dazu zu sagen gäbe.
    Dennoch machte Appel in jenem Winter eine Glaubenskrise durch. Erschöpft von zwei Jahren harter Arbeit, die mit Schulden und Frustrationen einhergingen, dachte Appel zumindest darüber nach, ob es für ihn nicht besser wäre, wenn er Bruce’ Vertrag zerreißen und ihn einem anderen Manager überlassen würde, der Bruce ganz groß herausbringen konnte. Doch dann hörte er sich eines der Alben an oder besuchte ein Konzert, und seine Hoffnung keimte wieder auf, er gewann neue Zuversicht und führte seinen Feldzug fort. Appel war klar, dass sich irgendetwas ändern musste. Aber sie durften nicht aufgeben. Anfang 74 hieß das: Sie mussten zu dem wahren Kern von Bruce Springsteen vorstoßen – dem Kern seiner Musik, seiner Band, seiner Stimme, seiner Vision –, und wenn sie ihn gefunden und freigelegt hatten, mussten sie diese Essenz in einen knapp vierminütigen, ebenso kompromisslosen wie radiokompatiblen Rock’n’Roll-Song packen.
    Frisch getrennt von Diane Lozito hockte Bruce auf seinem Bett in dem kleinen Mietshaus im West End von Long Branch, New Jersey. Sein Notizbuch lag aufgeschlagen vor ihm, und er spielte gedankenverloren auf seiner Gitarre. Er wartete darauf, dass aus den Tiefen seines Bewusstseins eine Inspiration heraufgespült würde: eine Akkordfolge, ein Bruchstück irgendeiner Melodie, ein Bild –

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