Bruce: Die Springsteen-Biografie (German Edition)
bevorstand. Dann ging das Licht aus und die Musik setzte ein. Und mit einem Mal fühlte er sich wieder wie beim letzten Mal – es war sogar noch intensiver.
Springsteen kann alles. Er ist ein Rock’n’Roll-Punk, ein südamerikanischer Gossenpoet, ein Balletttänzer, ein Schauspieler, ein Witzbold, ein Bandleader, ein verdammt guter Rhythmusgitarrist, ein außergewöhnlicher Sänger und ein wahrhaft begnadeter Songwriter.
Und er war noch etwas: ein Seelentröster. Ein Hoffnungsschimmer in Landaus größter Ausweglosigkeit.
Als er seinen Zwei-Stunden-Gig beendet hatte, dachte ich nur: »Kann jemand wirklich so gut sein; kann mir irgendwer so viel zu sagen haben, kann Rock’n’Roll tatsächlich so kraftvoll und mitreißend sein?« Und dann spürte ich meine wunden Oberschenkel, auf denen ich während des ganzen Konzerts den Takt mitgetrommelt hatte, und wusste, die Antwort lautete: Ja.
Auch nach knapp vierzig Jahren ist das immer noch ein atemberaubender Text. Ein Hilfeschrei, ein Bekenntnis, ein Ruf zu den Waffen. Derart emotional, dass er Landau noch Jahre nach der Veröffentlichung ein wenig peinlich ist. »Ich schrieb ihn für mich selbst, für den Leser und natürlich für ihn.«
An einem Abend, an dem ich das starke Bedürfnis hatte, mich jung zu fühlen, gab [Springsteen] mir das Gefühl, zum allerersten Mal Musik zu hören. Letzten Donnerstag sah ich im Harvard Square Theatre meine Rock’n’Roll-Vergangenheit an mir vorbeiziehen. Und ich sah noch etwas: Ich sah die Rock’n’Roll-Zukunft, und ihr Name ist Bruce Springsteen.
Obwohl der Artikel am 22. Mai 74 nur in einem alternativen Bostoner Wochenblatt erschien, schlug er in der Musikindustrie und vor allem in den Büros von Columbia /CBS Records ein wie eine Bombe.
»Das musste Aufmerksamkeit erregen«, erklärt CBS-Marketing-Manager und Bruce-Förderer Ron McCarrell. »Wir warteten gespannt darauf, was passieren würde, und hofften, dass wir richtig lagen. Es bestärkte uns.« Und tatsächlich: Die Plattenfirma interessierte sich wieder für einen Künstler, den sie schon abgeschrieben hatte. Die Vertriebsmitarbeiter legten einen höheren Gang ein und brachten Bruce’ Alben wieder landesweit in die Plattenläden, zugleich starteten sie eine Werbekampagne, die fast ausschließlich auf Landaus Text basierte. »Ich weiß noch, wie ich das Zitat auf ein Plakat für die Plattenläden brachte«, so McCarrell. »Das stand gewissermaßen am Anfang der massiven Kampagne für Born to Run, die kurz darauf folgte.«
Man sollte meinen, Bruce wäre begeistert gewesen. Er war es im Grunde auch – nur ein Teil von ihm konnte das alles nicht ausstehen. »Ich hatte gerade diese ganze Dylan-Nummer einigermaßen verwunden«, erklärte Bruce Tony Tyler vom New Musical Express 1975. »Ich saß zu Hause und dachte, Gott sei Dank hören die Leute langsam auf, diesen Quatsch immer wieder nachzubeten. Und dann: Bumm! ›Ich hab die Rock’n’Roll-Zukunft gesehen.‹ Oh, Mann! Das war unglaublich!«
Landaus Artikel bedeutete Bruce zweifellos viel. Aber er wollte nicht, dass daraus ein Werbeslogan und um die ganze Sache ein riesiger Hype gemacht wurde. »Sie rissen alles aus dem Kontext und blähten es unendlich auf. Wer sollte das schlucken? Es wird die Leute nur ankotzen, Mann. Mich kotzt es ja auch an. Als ich es [in der Anzeige] las, hätte ich den Kerl, der das fabriziert hatte, am liebsten erwürgt.«
Dabei hatten die PR-Leute Landaus Aussage in genau dem Kontext wiedergegeben, dem sie entstammte. Für Bruce lagen Welten jedoch zwischen dem wohlüberlegten Lob des Kritikers und dem marktschreierischen Ton der Werbeplakate. »Es ist, als käme man immer mit zehn Punkten Abzug auf die Bühne, denn man muss ja nicht nur spielen, sondern den Leuten erst mal diesen Mist aus dem Hirn blasen.« Für ihn zählte nur die Musik, weshalb Bruce Appel auch untersagte, T-Shirts und andere Merchandise-Artikel mit seinem Namen und Konterfei darauf zu produzieren. Das war die Entscheidung eines Puristen, doch der immer noch vor sich hindümpelnden Managementagentur wurde damit auch eine entscheidende Einnahmequelle verwehrt. 4 Obschon wahrscheinlich nur wenige Veranstalter Interesse daran hatten, größere Hallenkonzerte mit Springsteen zu organisieren, stellte Bruce seinerseits klar, dass er nur dort auftreten wolle, wo er eine direkte Beziehung zum Publikum herstellen könne, wie es in den Clubs und kleineren Theatern möglich war.
Appel fand, dass sein Schützling die
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