Bruce: Die Springsteen-Biografie (German Edition)
richtigen Prioritäten setzte. »Wir waren die Wunderjungs«, sagt er. »Wenn wir in irgendetwas Zeit und Geld investierten, dann musste es sich bei der Performance auszahlen. Das war die treibende Kraft. Die Kunst war der Gewinn.«
Im Frühsommer 1974 nahm das Interesse an den Liveshows weiter zu. Für die insgesamt sechs Konzerte an drei aufeinanderfolgenden Juliabenden im New Yorker Bottom Line Club spendierte das PR-Team von Columbia /CBS Records allen interessierten Branchenangehörigen, Journalisten, Radiomoderatoren und DJs Freikarten. Diesmal rissen sich so gut wie alle darum. Und Bruce ging ab wie nie zuvor auf einer derartigen PR-Veranstaltung. Es waren atemberaubende, heiße Shows, bei denen er rockige Versionen seiner eigenen Songs spielte, ebenso wie Coverversionen von »Then He Kissed Me« 5 von den Crystals und Chuck Berrys »No Money Down«. Gekrönt wurde das Ganze von frühen Versionen von »Born to Run« und »Jungleland«. Als die Band Ende des Monats wieder nach Phoenix kam, war das 2 650 Zuschauer fassende Celebrity Theatre im Nu ausverkauft, sodass der Veranstalter kurzerhand eine Spätshow anberaumte, für die es ebenfalls binnen kürzester Zeit keine Tickets mehr gab. Diese beiden Shows brachten der Band elftausendfünfhundert Dollar ein – nahezu das Dreifache von dem, was sie bislang an einem Abend verdienten.
Bruce’ Erfolg wirkte sich allmählich negativ auf kommerziell erfolgreiche Stars aus, die ihn und seine Band als Vorgruppe buchten. Die Veranstalter des Schaefer Music Festival am Wollman Rink im New Yorker Central Park konnten Bruce in letzter Minute als Anheizer für Anne Murray gewinnen. Appel kontaktierte den Manager der kanadischen Popsängerin und empfahl ihm nachdrücklich, Bruce erst nach der Headlinerin auftreten zu lassen. Der Herr am anderen Ende der Leitung nahm Appels Einladung, sich eine von Bruce’ Shows anzusehen, zwar gerne an, ließ sich jedoch nicht davon überzeugen, die Auftrittsreihenfolge zu ändern. Wie in aller Welt sollte eine lediglich regional bekannte Band – wie ansprechend ihre Gigs auch immer sein mochten – eine Konkurrenz für Murrays eingängige Hits wie »Snowbird« sein. Er bedachte allerdings nicht, wie viele hartgesottene Bruce-Fans aus New York und New Jersey zu diesem Konzert anreisen würden und wie diese reagieren würden, wenn ihr Idol für Murray die Bühne räumen musste. Am Ende traten die Künstler in der Reihenfolge auf, auf der Murrays Manager bestanden hatte. »Er hat es später bereut«, erinnert sich Appel.
Für die Band lief alles rund, bis David Sancious Bruce eines Tages mitteilte, dass man ihm bei Columbias Schwesterlabel Epic einen Solovertrag angeboten habe und er die Band verlassen werde. Mit ihm ging Boom Carter. Sie trennten sich in Freundschaft; die beiden Musiker sagten zu, noch einen Monat zu bleiben, bis Ersatz gefunden sei. Doch Bruce erzählte (wahrscheinlich in Absprache mit Appel) erst einmal niemandem davon, in der Hoffnung, dass sie es sich noch einmal überlegen würden. Aber es blieb dabei. Anfang August schaltete Appel eine Annonce in der Rubrik »Musiker gesucht« im Kleinanzeigenteil der Village Voice . Neben einem Drummer (»Kein Ginger Baker«) und einem Pianisten (»Von Klassik bis Jerry Lee Lewis«) suchte er auch nach einem Trompeter (»Jazz, R&B und Latin«) und einem Geiger. »Alle müssen singen können. Männer oder Frauen. Bruce Springsteen and the E. Street Band. Columbia Records.«
Über einhundert Musiker meldeten sich auf die Anzeige, und in den nächsten zwei Monaten kamen an die sechzig Drummer und fast ebenso viele Pianisten zum Vorspielen. Aber keiner entsprach den Erwartungen, bis – unabhängig voneinander – sich zwei junge, aber erfahrene New Yorker Profimusiker vorstellten. Der Drummer Max Weinberg und der Pianist Roy Bittan hatten eine ganz ähnliche musikalische Laufbahn hinter sich. Der aus dem Norden New Jerseys stammende Weinberg hatte seine ersten Erfahrungen als Sechzehnjähriger in Herb Zanes Hochzeitsband gesammelt; der aus Rockaways in Queens stammende Bittan war den klassischen Weg über die Highschoolbands gegangen. Beide hatten auch geraume Zeit am Broadway gespielt, sodass ihnen das Geschäft als Begleitmusiker vertraut war.
Bittan hatte Bruce und die Band Monate zuvor bereits in einem Club spielen sehen und war von ihnen sehr angetan. »Mir war klar, wohin sie es noch bringen würden«, sagt er. »Doch ich fand, dass sie sich stärker in Richtung
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