Bruchlandung
Heulkrampf kämpfte, doch sie riss sich zusammen.
»Vielleicht ist es ja konkret genug, wenn ich Ihnen erzähle, dass sechs von denen vor ungefähr einem Vierteljahr nachts hier aufgetaucht sind. Sie haben geklingelt, sich ins Haus gedrängelt und im Wohnzimmer niedergelassen. Dann wollten sie wissen, wo Theo Stark sei. Und ob er vielleicht bei uns Unterschlupf gefunden habe.«
Ihre Stimme wurde brüchig, und ein Tränenschwall ergoss sich über ihre Wangen, während sie sprach.
»Als Walter ihnen erklärte, dass er keine Ahnung habe, wo sich sein Kollege aufhält, und dass er die Polizei holen würde, wenn sie nicht auf der Stelle verschwinden würden, stand einer von ihnen auf, ging langsam auf ihn zu und schlug ihm dermaßen fest in den Magen, dass er zwei Wochen lang Blut im Urin hatte. Ich wurde, als ich gesehen habe, wie mein Mann auf den Boden fiel, einfach ohnmächtig und kam erst wieder zu mir, als sie schon weg waren. Aber Walter bestand darauf, nichts gegen sie zu unternehmen. Er hat es einfach hingenommen, dass fremde Männer nachts in unser Haus eindrangen und ihn zusammenschlugen.«
Wieder wurde sie von einem Weinkrampf geschüttelt.
»Und jetzt ist er tot. TOT, TOT, TOT!«
Ein weiteres anrührendes Schluchzen.
»Er ist tot, weil er mit Theo Stark zusammen Nachtschicht gefahren ist.«
Sowohl Lenz als auch sein Kollege fühlten sich zutiefst unwohl, wobei sich der Hauptkommissar dazu noch dafür schämte, die Rockergruppe sogar in Schutz genommen zu haben. Sie warteten, bis sich die Frau wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte, bevor sie die Befragung fortsetzten.
»Kennen Sie einen gewissen Adolfo Vasquez, Frau Kempf?«
»Natürlich kenne ich Adolfo, warum?«
Noch während der Satz im Raum verklang, schien in der Frau eine schreckliche Befürchtung aufzukeimen.
»Nein«, flüsterte sie.
»Nein, nein, Herr Vasquez hat zwar ein paar Beulen und blaue Flecken abbekommen, aber sonst geht es ihm den Umständen entsprechend gut. Im Augenblick wird er gerade im Klinikum operiert.«
»Aber der Adolfo arbeitet doch schon lange nicht mehr bei der Secupol«, gab sie irritiert zurück. »Was ist denn mit ihm passiert?«
»Ist er ein Freund Ihres Mannes gewesen?«, hakte Hain nach, ohne auf ihre Frage einzugehen, doch Elisabeth Kempf schien ihm überhaupt nicht zuzuhören.
»Bitte sagen Sie mir, was mit ihm passiert ist?«
»Er wurde heute Morgen niedergeschlagen. Offenbar hat der Täter etwas bei ihm vermutet oder gesucht, das Theo Stark gehört hat.«
Ihr Blick schoss fahrig zwischen den beiden Polizisten hin und her.
»Bei Adolfo? Etwas gesucht, das Theo gehört hat? Was ist denn das für ein Unsinn? Theo und Adolfo haben seit Jahren kein Wort mehr miteinander gewechselt. Adolfo hat Theo Stark mehr gehasst als die Pest.«
Nun tauschten die Polizisten einen überraschten Blick aus.
»Sind Sie sicher? Wir haben vor nicht einmal einer halben Stunde mit Herrn Vasquez gesprochen, und dabei hat er Herrn Stark als seinen Freund bezeichnet.«
»Da müssen Sie sich verhört haben. Der Adolfo hat immer gesagt, dass er dem Theo eines Tages mal den Schädel einschlagen wird, weil der damals dafür gesorgt hat, dass er bei Secupol rausgeflogen ist. Theo hat ihn angeschwärzt, weil er dachte, dass er danach dessen Posten als Vorarbeiter übernehmen könnte, was aber dann doch nichts geworden ist.«
»Haben Sie Kontakt zu Herrn Vasquez?«, wollte Lenz von ihr wissen.
»Bis vorletztes Jahr, bevor seine Frau gestorben ist, war er eigentlich regelmäßig bei uns. Aber seitdem lebt er die meiste Zeit des Jahres in Spanien, dort, wo er herkommt. Gesehen habe ich ihn zuletzt …«
Sie legte die Stirn in Falten, während sie überlegte.
»… im Herbst letzten Jahres. Vielleicht im September oder Oktober. Er war kurz hier, weil er die Stichsäge zurückbringen wollte, die er sich von Walter geliehen hatte. Da hat er auch erzählt, dass er den Winter in Tarragona verbringen wollte, wo es nicht so kalt ist wie bei uns hier in Kassel.«
Wieder ein paar Sekunden des Überlegens, dann ein langer Blick aus dem Fenster, wo noch immer dichtes Schneetreiben zu erkennen war.
»Ich hätte gar nicht gedacht, dass er schon wieder da ist. Jetzt geht doch das Schmuddelwetter erst richtig los hier.«
»Ihr Mann und Herr Vasquez haben sich also recht gut verstanden?«
»Klar, die waren ganz alte Kumpels. Walter hat Adolfo quasi so ein bisschen wie adoptiert, als er damals aus Spanien kam. Das hat gepasst wie Topf
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