Bruchlandung
vorbeigekommen war, doch noch hatte keiner der Einsätze ihm gegolten. Noch nicht.
Dann, nach endlosen weiteren Überlegungen, war er sich darüber klar geworden, dass er spätestens am Mittag des nächsten Tages, also am besten direkt nach der Geldübergabe, Deutschland verlassen musste. Mit der Kohle von Wehmeyer würde er es eine Weile gut aushalten und außerdem hatte er noch seine Festgeldkonten, auf die er ebenso einfach wie anonym zugreifen konnte. Das große Haus am Wolfsanger, das ihm über einen Strohmann gehörte und das garantiert einen Wert von über einer dreiviertel Million darstellte, würde er aufgeben müssen, aber irgendwie hatte er das ganze Prunkschloss ohnehin nie gemocht.
Scheiße im Quadrat , dachte der Rockerboss, während er die Heizung herunter regelte, weil ihm langsam die Schweißperlen auf die Stirn traten. Dann ging er zu der großen schwarzen Reisetasche, die auf dem Bett lag, zog den Reißverschluss auf und nahm einen kleinen Kasten heraus, der an die Funkfernsteuerung eines Modellflugzeugs oder Modellautos erinnerte. Mit fliegenden Fingern griff er zu den Batterien, die er auf dem Weg zur Pension gekauft hatte, öffnete das dafür vorgesehene Fach und setzte die kleinen, runden Energielieferanten ein. Dann drückte er auf den Schalter mit der Beschriftung ON, und sofort fingen diverse LEDs an zu leuchten.
Er wusste genau, was er zu tun hatte, wenn er es wirklich machen würde, aber wie es jetzt aussah, würde es nicht mehr dazu kommen. Es war ihm aber trotzdem wichtig, die gesamte Fernzündungseinheit noch einmal in den Händen zu halten, noch einmal die Macht zu spüren, über Dutzende oder gar Hunderte Menschenleben zu herrschen und zu bestimmen.
Andreas Blatter hatte in seinem Leben sechs Menschen getötet, zwei davon allerdings in Notwehr. Seiner Ansicht nach war es jedenfalls Notwehr gewesen. Es waren Kämpfe gewesen, in denen es nur einen Sieger und einen Verlierer geben konnte, und der Sieger hatte gelebt, wohingegen der Verlierer das Recht auf Leben verwirkt hatte. Archaisch, ja geradezu animalisch, aber nach Andreas Blatters Selbstverständnis eine gerechte Sache. Immerhin hätte es auch ihn treffen können.
Die anderen drei Männer und eine Frau hatte er in der festen Überzeugung umgebracht, dass es dafür keine Alternative geben würde. Töten und getötet werden , so war das nun mal im Raubtierkäfig Erde. Die Frau, eine Rumänin, hatte gedroht, ihn und seine Leute bei der Polizei anzuzeigen. Und sie hatte es geschafft, ein paar weitere Mädchen aufzuwiegeln und widerspenstig zu machen, also war es unabdingbar gewesen, an ihr ein Exempel zu statuieren. Ein solches Exempel, dass den anderen Frauen ein für alle Mal der Appetit darauf verging, sich an irgendwelche offiziellen Stellen zu wenden. Und es hatte ja auch funktioniert. Die zerstückelte Leiche lag zwar immer noch in der Kühltruhe eines Members, weil bis jetzt einfach noch keine Zeit gewesen war, sich darum zu kümmern, aber daran konnte er nun auch nichts mehr ändern. Über kurz oder lang würde es die Black Crows ohnehin nicht mehr geben, das stand für ihn fest, und sei es nur, weil er nicht mehr für Ruhe und Ordnung sorgte.
Dieser verdammte Prospect , dachte er wütend. Dieses gottverdammte Arschloch von Prospect ! Hätte der nicht seinen Schwanz so weit im Zaum halten können, dass es nicht zu dieser Scheiße am Herkules gekommen wäre? Hätte er nicht einfach die Finger von der Tussi des Members lassen können? Alles müßig , fiel ihm dazu ein. Jeder Gedanke zu viel. Er hatte sich dabei beobachten lassen, wie er dem Kerl ein paar Regeln beibringen wollte, und das war einfach nicht gut gewesen. Und dass es sich bei dem Beobachter um einen Schluchtenscheißerbullen gehandelt hatte, machte die Sache garantiert nicht besser. Aber wenn er erst mal mit einem Cocktail in der Hand an irgendeinem Pool in der Karibik liegen würde, wären diese Probleme allenfalls noch ein kaum mehr hörbares Nebengeräusch zum leichten Anbranden des Meeres.
Auch seine Fluchtroute hatte er schon ausgearbeitet. Via Paris würde er nach Martinique, einem französischen Überseedepartement, fliegen, von dort mit der Fähre oder einem Inselflieger weiter nach St. Lucia, und dann würde sich seine Spur schon verlieren. Die Haare kurz und gefärbt, einen Bart stehen gelassen, und schon würde aus Andreas Blatter innerhalb kürzester Zeit ein stinknormaler Dauerurlauber werden, um den sich eigentlich niemand zu kümmern brauchte.
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