Bruchlandung
Sparsam mit der Kohle umgehen, keinesfalls protzen, und vielleicht ließe sich mit den Jahren sogar was Geschäftliches auf die Beine stellen. Nur zurück nach Deutschland würde er nie mehr kommen, so viel war klar.
Eigentlich hätte er längst in Frankreich sein können, aber er wollte Heiner Wehmeyer die Kohle nicht einfach so überlassen. Nicht diesem Arschgesicht, das ihn nie wirklich ernst genommen hatte. Jetzt, nach den Hieben mit dem Telefon, würde sich das vermutlich geändert haben, und das stimmte den Rocker fast wieder versöhnlich. Fast.
Wenn es irgendwie geht, dachte er, hole ich mir morgen meine Kohle und sorge gleichzeitig dafür, dass dieser bescheuerte Henner sich nie wieder nachmittags einen runter holt auf billige, schmuddelige Pornos aus dem Internet.
Er schaltete die Steuereinheit in seinen Händen aus, legte den Plastikkasten mit den eingeklappten Antennen zurück in die Tasche und trat erneut ans Fenster, wo er sah, dass der Schneefall dichter geworden war. In einiger Entfernung die Straße hinunter flackerten noch immer die grellen pinkfarbenen Neonlichter des Erotikcenters, wo die Crows bei jeder Nummer die Hand aufhielten und sich so an dem Leid der Frauen, die ihren Körper verschleudern mussten, eine goldene Nase verdienten. Die Nase von Andreas Blatter war von allen diejenige, die am hellsten strahlte, denn er hatte über die Jahre einen Weg gefunden, von jeder Einnahme immer ein paar Prozent beiseite und auf eines seiner Konten zu schaffen. Die Jungs hatten es nie gemerkt, vielleicht auch deshalb, weil er der Einzige war, der wirklich etwas von Finanzen und Buchführung verstand, und wenn sie sich auch mit dem Abrechnen von Schwarzeinnahmen beschäftigten. Alle waren immer zufrieden gewesen, und dass er nun über ein gesundes Startkapital verfügte, um ein neues Leben beginnen zu können, war sicher nicht verkehrt.
Zu gern hätte er sich auf das Bett gelegt, um einfach die Augen zu schließen und in einen tiefen, beruhigenden Schlaf zu fallen, doch er wusste, dass es dazu nicht kommen würde, weil er viel zu gestresst dafür war. Also würde er sich eine weitere Linie Kokain in die Nase ziehen, in die Glotze starren und morgen unrasiert und unausgegoren in jenen Tag gehen, der sein Leben so gründlich auf den Kopf stellen würde wie kein anderer zuvor.
Während er mit der Scheckkarte das helle Pulver auf dem Tisch hackte, kreisten seine Gedanken zurück in die Sommernacht vor eineinhalb Jahren, in der es ihm gelungen war, für sechs Stunden der absolute Herrscher auf der Baustelle des neuen Flughafens Kassel zu sein. Alles, aber auch wirklich alles hatte er in akribischer Kleinarbeit ausgearbeitet und geplant, und es war jedes Detail genau so gekommen, wie er es ausgetüftelt hatte. Einfach genial, hatte er seitdem immer wieder gedacht, aber ein Muster ohne Wert, weil dieser Arsch von Minister gekommen und gegangen war, während er in U-Haft gesessen hatte. Bernd Röder war gelandet und hatte wieder abgehoben, er selbst hatte nichts daran ändern können, und mit Röder waren seine gesamten Pläne in die Luft gegangen, zwischen Frankfurt und Hannover ein neues, mächtiges Zentrum der Black Crows zu initiieren, an deren Spitze er gestanden hätte, und dessen Machtfülle nahezu grenzenlos gewesen wäre.
Schnee von gestern .
Immer wieder seitdem hatte er sich gefragt, ob die kleine Ladung, von der die Initialzündung ausgehen sollte, noch funktionieren würde, und ob die Batterien, mit denen der Empfänger bestückt wurde, wirklich zwei, drei Jahre die Energie bereitstellen könnten, damit ein Zünden möglich wäre.
Das einfach noch mal auszuprobieren, wäre schon geil , dachte er grinsend, während er das Kokain in eine genießbare Form brachte.
Was hatten die Männer gestaunt, als er mit dem Sprengstoff im Kofferraum angefahren kam. Und alle hatten sie sich fast in die Hose geschissen, als er es in die Hand genommen hatte.
Hör bloß auf, Andy! Wenn das Zeug hochgeht, steht hier in der ganzen Gegend kein Haus mehr.
Wie recht sie doch hatten und wie wenig sie doch eigentlich darüber wussten, welche Sprengkraft sich wirklich hinter diesen 40 Kilo Semtex verbarg. 40 Kilo Semtex, gekauft für 250.000 Euro in Tschechien, ohne jegliche Marker, die einen Hinweis darauf lieferten, aus welcher Produktionsstätte es stammte. Und ohne jegliche Zusatzstoffe, mit deren Hilfe es Hunden möglich war, das Zeug zu erschnüffeln oder die es unter einem Flughafenscanner sichtbar
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