Bruder Cadfael Und Der Hochzeitsmord
die von diesem tragischen Verlust betroffen sind, und ich möchte sie bitten, unsere Gastfreundschaft, den geistlichen Beistand unseres Ordens und die Ungestörtheit unseres Gästehauses so lange in Anspruch zu nehmen, wie es ihnen beliebt. Dies ist eine Zeit der inneren Einkehr und des Gebets.
Der Tod begleitet uns jeden Tag unseres Lebens, und wir sollten ihn nicht als Drohung, sondern als das Tor betrachten, das wir alle auf unserem Weg zur Gnade Gottes durchschreiten werden. Es gibt nicht mehr dazu zu sagen. Es ist besser, sich schweigend dem Willen Gottes zu beugen.«
»Mit Verlaub, Ehrwürdiger Vater«, sagte Picard mit einer Stimme, die zwar sehr höflich und respektvoll, aber auch kühl wie eine Klinge aus feinem Stahl klang. Cadfael hatte, allerdings mit wenig Erfolg, versucht, in seinem Gesicht zu lesen - er fand Entsetzen, Wut und Enttäuschung darin, gewiß, aber auch Berechnung. »Sollen wir hinter diesem Schicksalsschlag wirklich den Willen Gottes vermuten? Huon de Domville kennt diese Gegend, er besitzt ein Jagdhaus in der Nähe, nicht weit vom Großen Wald. Sein Leben lang hat er weder bei Tag noch bei Nacht einen Reitunfall gehabt. Sollen wir etwa glauben, daß er ausgerechnet am Vorabend seiner Hochzeit weniger vorsichtig gewesen ist als sonst, da Ihr doch ebensogut wie ich wißt, daß er nüchtern und noch keineswegs müde war, als er von hier aufbrach? Er sagte seinem Knappen, er wolle vor dem Zubettgehen noch etwas ausreiten - gewiß kein großes oder gefährliches Unternehmen. Und jetzt wird sein Leichnam gefunden, der Leichnam eines gesunden, kräftigen Mannes im besten Alter! Nein, ich kann nicht glauben, daß es ein Unfall war! Hier ist etwas Böses im Spiel, und ich werde nicht ruhen, bevor ich herausgefunden habe, was dahinter steckt!«
Es schien, als habe Prestcote absichtlich nicht die ganze Wahrheit erzählt, um zu sehen, ob einer der Zuhörer sich erleichtert darüber zeigte, daß Domvilles Tod einem Unfall zugeschrieben wurde. Wenn er solche Anzeichen entdeckte, als er seinen Blick mit zusammengekniffenen Augen über die Gesichter der Umstehenden schweifen ließ, so hatte er darin mehr Erfolg als Bruder Cadfael, der sich in der gleichen Absicht umsah. Nirgends bemerkte er auch nur einen Hauch von Schuld oder Angst in einem Gesicht, sondern nur - wie nicht anders zu erwarten - Trauer und Bestürzung.
»Ich habe mit keinem Wort gesagt, daß es ein Unglück war«, sagte der Sheriff unverblümt. »Nicht einmal daß er vom Pferd fiel, war ein Zufall. In Höhe seines Halses war zwischen zwei Bäumen ein Seil über den Weg gespannt. Aber er wurde nicht durch den Sturz getötet. Wer immer diesen Hinterhalt vorbereitet hatte, war dort, um sein Werk zu vollenden, solange Mylord Domville noch bewußtlos war. Er wurde von den Händen eines Mannes erwürgt.«
Die Menge schwankte, als werde sie von einem heftigen Wind geschüttelt, und einige schnappten hörbar nach Luft. Der Abt sah auf und starrte Prestcote an.
»Wollt Ihr damit sagen, daß es Mord war?«
»Ja, es war ein kaltblütig geplanter und ausgeführter Mord.«
»Und wir wissen auch, wer der Mörder ist!« Picard beugte sich vor und erhob triumphierend seine Stimme. »Habe ich es nicht gesagt? Dies ist das Werk des Diebes, den Domville aus seinen Diensten entlassen hatte. Mit diesem Mord hat er sich rächen wollen. Wer sonst käme in Frage? Niemand anders hegte einen Groll gegen Domville. Joscelin Lucy ist der Mörder!«
In seinem Rücken leuchtete plötzlich ein golddurchwirktes Gewand auf. Hinter ihm stand Iveta und sah ihn zornig an. Sie, die gestern noch ein Opferlamm gewesen war, hatte sich in eine Wildkatze verwandelt. Ihre irisblauen Augen funkelten wie Amethyste. Ihre Stimme klang hoch und herausfordernd, ja sogar triumphierend und verächtlich, als sie rief: »Das ist eine Lüge! Ihr wißt, Ihr alle wißt, daß das nicht stimmen kann! Habt Ihr vergessen? Wenn einer unschuldig ist, dann er, denn er sitzt seit zwei Tagen in der Burg von Shrewsbury im Gefängnis, und die Anschuldigung, die ihn dorthin gebracht hat, ist ebenso falsch wie die, die jetzt gegen ihn vorgebracht wird! Aber Gott sei Dank wird der Gefängnisschließer bezeugen können, daß Joscelin dieses Verbrechen nicht begangen haben kann.«
Im ersten Augenblick war Bruder Cadfael so benommen, als habe er einen Schlag auf den Kopf erhalten. Dann begann er langsam zu verstehen. Jetzt begriff er, warum sie die Fragen des Abts mit solch ruhiger Entschlossenheit
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