Bruder Cadfael Und Der Hochzeitsmord
eigenen Rechte.
»Er kam allein?
»Ja, allein.«
»Um welche Zeit verließ er Euch?« Jetzt kamen sie zur wichtigsten Frage. Diese ehrbare Dirne hatte gewiß nichts mit Domvilles Tod zu tun, ja sie hatte ihn nicht einmal mit seinem Verwalter betrogen, jenem eifersüchtigen, mißtrauischen und ihr vollkommen ergebenen Mann, der aus langer und sicher wohlverdienter Treue zu ihr hielt. Diese Frau wußte mit denen umzugehen, die zufällig ihre Diener waren, und hatte sie respektiert, so wie diese gelernt hatten, sie zu respektieren.
Sie überlegte genau. »Es war nach sechs Uhr morgens. Ich weiß nicht genau, wie lange nach sechs Uhr es war, aber es wurde bereits hell. Ich begleitete ihn bis zum Tor. Man konnte schon Farben unterscheiden - es muß gegen halb sieben gewesen sein. Ich ging nämlich zu dem Busch, wo der Steinsame wächst - er blüht dieses Jahr sehr spät -, pflückte einige Stengel und steckte sie ihm an seine Kappe.«
»Also war es nach sechs Uhr, und zwar eher halb sieben als Viertel nach sechs«, überlegte Cadfael laut. »Dann konnte er erst eine Viertelstunde vor der Prim, wahrscheinlich aber erst noch etwas später, an der Stelle sein, wo er ermordet wurde.«
»Das weiß ich nicht, Bruder, denn ich weiß nicht, wo diese Stelle ist. Aber es muß etwa zwanzig Minuten nach sechs gewesen sein, als er aufbrach.«
Selbst wenn er schneller geritten war, als es das Licht zuließ, mußte er eine Viertelstunde gebraucht haben, um den Ort zu erreichen, an dem sein Mörder auf ihn wartete. Die Tat selbst mußte mindestens zehn Minuten in Anspruch genommen haben. Der Mörder konnte sich also frühestens um Viertel vor sieben, wahrscheinlich aber erst erheblich später, vom Tatort entfernt haben.
Nur eine einzige wichtige Frage war noch ungeklärt. Viele andere, die Cadfael beschäftigt hatten, bevor er Avice kennengelernt und begonnen hatte, sich an allen falschen Annahmen vorbei zur Wahrheit vorzuarbeiten, hatten sich bereits erledigt. So zum Beispiel, warum sie all ihr Hab und Gut, selbst ihren Schmuck, abgelegt, ihr Pferd im Stall gelassen und alles aufgegeben hatte, mit dem Domville sie ausgestattet hatte. Zuerst hatte er gedacht, sie habe sich eilig und voller Angst verstecken wollen und sich, ohne einen klaren Gedanken zu fassen, aller Dinge entledigen wollen, die sie mit dem Toten in Verbindung hätten bringen können. Dann, als er gesehen hatte, daß sie bereits die Tracht der Novizinnen trug, hatte er es für möglich gehalten, daß sie Reue empfand und es für nötig hielt, allen weltlichen Besitz aufzugeben, bevor sie sich in ein Kloster zurückzog, um die zweite Hälfte ihres Lebens damit zu verbringen, für die erste Hälfte zu büßen. Jetzt erkannte er die Ironie, die in diesem Gedanken lag. Avice von Thornbury bereute nichts. Sie hatte gesagt, sie habe nie vor etwas Angst gehabt, und er war sicher, daß sie noch nie etwas bereut hatte.
Sie hatte einen Vertrag geschlossen, und solange Huon de Domville lebte, hatte sie diesen Vertrag eingehalten. Jetzt war sie wieder ihr eigener Herr und konnte tun und lassen, was sie für richtig hielt.
Sie hatte ihren Schmuck abgelegt, wie ein alter Soldat seine Waffen ablegt, sobald er keine Verwendung mehr für sie hat, weil er beschlossen hat, das Schwert mit dem Pflug zu vertauschen. Und genau das war es, was sie jetzt tun würde.
Ihr Acker würde die Wirtschaft des Klosters der Benediktinerinnen sein, und dieser Aufgabe würde sie sich gründlich und mit Erfolg annehmen. Cadfael empfand ein gewisses Mitleid mit den Nonnen, in deren Taubenschlag dieser harmlos wirkende Falke gelandet war. In drei oder vier Jahren würde sie die Mutter Superior von Godric's Ford und in zehn Jahren die Äbtissin von Polesworth sein, und sie würde nicht nur das Ansehen und den Einfluß dieses Klosters mehren, sondern auch seine finanzielle Lage verbessern.
Möglicherweise würde man sie nach ihrem Tod als Heilige verehren.
Cadfael war zwar davon überzeugt, daß ihre Ehrlichkeit und Verläßlichkeit außer Zweifel standen, hielt es aber dennoch für seine Pflicht, sie darauf hinzuweisen, daß es für eine gewisse Zeit mit ihrer Ruhe vorbei sein würde, falls sie sich entschloß, eine Aussage zu machen.
»Ihr werdet verstehen«, sagte er behutsam, »daß der Sheriff in einem Prozeß auf Leben und Tod darauf bestehen wird, daß Ihr als Zeugin vor Gericht erscheint, und daß das Leben Unschuldiger von Eurer Glaubwürdigkeit abhängen wird. Seid Ihr bereit, vor Gericht
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