Bruder Cadfael Und Der Hochzeitsmord
kürzlich darum gebeten hat, hier aufgenommen zu werden. Jedenfalls schließe ich das aus dem, was ich über sie in Erfahrung gebracht habe. Ihr Name ist Avice von Thornbury. Könnt Ihr mich zu ihr bringen?«
»Mit Vergnügen!« sagte die Novizin. Auf ihren rosigen Wangen erschien plötzlich ein Grübchen, um gleich darauf wieder zu verschwinden. Einen Augenblick lang hatte sich ihre reife, ruhige Schönheit gezeigt, aber jetzt sah sie wieder so schlicht und demütig aus wie zuvor. »Wenn Ihr Avice von Thornbury sucht, so habt Ihr sie gefunden. Ihr steht vor ihr.«
Sie saßen sich an einem Tisch in der kleinen, dunklen Stube des Hauses gegenüber: Ein Benediktinermönch und eine zukünftige Benediktinernonne, die sich mit gegenseitigem Interesse betrachteten. Die Mutter Superior hatte ihnen die Erlaubnis gegeben und die Tür geschlossen. Avices Auftreten war so selbstsicher, daß es erstaunlich war, daß sie überhaupt irgend jemand um Erlaubnis bat, mit ihrem Besucher sprechen zu dürfen, und noch erstaunlicher, daß sie ihre Bitte mit so ansprechender Demut vorgetragen hatte. Cadfael war jedoch bereits zu dem Schluß gekommen, daß dies nicht die letzte Überraschung sein würde, die diese Frau für ihn bereithielt.
Wo war nun die Frau, die er erwartet hatte: die verwöhnte, verdorbene Geliebte eines normannischen Barons, die es gewöhnt war, ihre Schönheit zur Schau zu stellen? Eine solche Frau hätte sich große Mühe gegeben, sich ihr hübsches Gesicht mit Salben, Schminke und geheimen Zaubersprüchen zu erhalten, sie hätte gefastet, um kein Fett anzusetzen, und versucht, ihrem Gang und ihren Bewegungen jene Grazie zu verleihen, die die Augen der Männer auf sich zieht. Diese Frau aber hatte sich mit ihrem Alter abgefunden, sie versuchte nicht, die Falten in ihrem Gesicht und an ihrem Hals zu verbergen und den Vormarsch der grauen Strähnen aufzuhalten, die sich in ihrem braunen Haar zeigten. Sie war immer noch flink und beweglich und würde es auch immer bleiben - sie war selbstsicher und verspürte kein Bedürfnis, sich anders darzustellen als sie war. Und so, wie sie war, hatte sie es geschafft, Huon de Domville länger als zwanzig Jahre zu faszinieren.
»Ja«, beantwortete sie Cadfaels Frage bereitwillig, »ich war in Huons Jagdhaus. Ganz gleich, wo er hinging - er wollte mich immer in der Nähe haben. Ich habe im Lauf der Jahre jeden Winkel seiner Besitzungen kennengelernt.« Ihre Stimme war leise, wohltönend und so heiter-gelassen wie ihre ganze Erscheinung, und sie sprach über ihre Vergangenheit wie eine ehrbare Hausfrau, die sich nach dem Tod ihres Mannes an ruhige, häusliche Freuden erinnert, an ein Leben, in dem es keine Höhepunkte gegeben hatte.
»Und als Ihr von seinem Tod erfuhrt«, sagte Cadfael, »da hieltet Ihr es für das Beste, von dort zu verschwinden? Hat man Euch gesagt, daß es Mord war?«
»Bis zum Nachmittag jenes Tages wußte es jedermann«, antwortete sie. »Ich hatte nichts damit zu tun, und ich habe keine Ahnung, wer so etwas getan haben könnte. Ich hatte keine Angst, falls Ihr das denken solltet, Bruder Cadfael. Ich habe noch nie irgend etwas aus Angst getan.«
Das hatte sie nicht gesagt, als wolle sie sich damit brüsten, und Cadfael glaubte ihr. Er hätte sogar geschworen, daß sie in ihrem ganzen Leben noch nie Angst verspürt hatte. Sie sprach das Wort mit einer Art unbestimmter Neugier aus, so als streiche sie mit ihrer Hand über ein Schaffell, um das Gewicht und die Qualität der Wolle zu bestimmen.
»Nein, ich hatte keine Angst - vielmehr widerstrebte es mir, in einen Skandal hineingezogen zu werden. Mehr als zwanzig Jahre lang habe ich ein sehr verschwiegenes Leben geführt, und ich könnte es nicht ertragen, wenn mein Name nun auf einmal in aller Munde wäre. Und wenn etwas vorüber ist, warum noch Zeit verlieren? Ich konnte ihn nicht ins Leben zurückholen. Das war also vorbei. Ich bin jetzt vierundvierzig Jahre alt und habe eine ganze Reihe Erfahrungen gemacht. Ich glaube übrigens«, sagte sie und sah ihm gerade ins Gesicht, und die Grübchen auf ihren Wangen erschienen und verschwanden wieder, »daß dasselbe auch für Euch gilt, Bruder. Ich habe nämlich nicht das Gefühl, daß meine Erscheinung Euch so überrascht hat, wie ich dachte.«
»Offen gesagt«, sagte Cadfael, »kann ich mir niemanden vorstellen, der von Euch nicht überrascht wäre. Ja, Ihr habt recht - ich bin in der Welt herumgekommen, bevor ich mein Gelübde ablegte. Wäre es töricht von
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