Bruder Cadfael und ein Leichnam zuviel
nicht?«
»Ich denke schon. Und wenn Ihr einverstanden seid, werden wir uns nach der Versammlung der Brüder im Kapitelsaal wieder hier treffen. Das heißt – wenn mir nicht eine solche Buße auferlegt wird, daß ich eine Woche lang mit Beten beschäftigt bin.«
Aber es kam alles ganz anders. Wenn sein Fehlen bei Frühmette und Laudes überhaupt bemerkt worden war, so war es schon vergessen, und nicht einmal Prior Robert stellte ihn zur Rede oder verlangte eine Buße. Denn nach den Aufregungen und Nöten des Vortages standen andere, erfreulichere Ereignisse bevor. König Stephen plante, mit verstärkten Truppen in südlicher Richtung nach Worcester weiterzuziehen, um einen Angriff auf die Burg des Grafen Robert von Gloucester zu versuchen, der ein Halbbruder der Kaiserin und ihr treu ergeben war. Die Vorhut der Armee sollte sich am nächsten Tag in Marsch setzen. Der König würde heute mit seiner Leibgarde für zwei Nächte die Burg von Shrewsbury beziehen, um die Verteidigungsanlagen zu inspizieren, bevor er der Vorhut folgte. Er war sehr zufrieden mit dem Ergebnis der Konfiszierung und schien geneigt, den Groll, den er noch hegte, zu vergessen, denn er hatte zu dem Festessen, das an diesem Dienstagabend stattfinden sollte, sowohl Abt Heribert als auch Prior Robert geladen. In der Aufregung, die die Vorbereitungen hierzu begleiteten, waren kleinere Sünden unwichtig.
Bruder Cadfael ging dankbar wieder in seinen Schuppen, legte sich auf die Bank und schlief, bis er von Hugh Beringar geweckt wurde. In seiner Hand hielt er den Topas; sein Gesicht war ernst und erschöpft, aber dennoch entspannt.
»Sie hat ihn sofort wiedererkannt. Ich wußte ja, daß dieser Stein einmalig ist. Jetzt gehe ich zur Burg, denn der König hält bereits seinen Einzug. Ten Heyt und seine Flamen werden auch dort sein. Wer es auch sein mag – ich werde den Mann finden, der Giles Siwards Dolch gestohlen hat. Wenn wir ihn erst haben, ist der Mörder nicht mehr weit. Cadfael, könnt Ihr nicht Abt Heribert dazu bringen, Euch heute abend mitzunehmen? Er braucht einen Diener – warum nicht Euch? Er verläßt sich ja auch sonst immer auf Euch, und wenn Ihr ihn bittet, wird er es Euch nicht abschlagen. Auf diese Weise werdet Ihr in der Nähe sein, wenn ich etwas herausbekomme.«
Bruder Cadfael gähnte und betrachtete das Gesicht, das sich über ihn beugte. Tiefe Falten hatten sich darin eingegraben, es war das bleiche, entschlossene Gesicht eines Jägers. Er hätte keinen besseren Verbündeten gewinnen können.
»Ach, warum mußtet Ihr mich wecken«, murmelte er. »Gut, ich werde kommen.«
»Ihr habt mit dieser Sache angefangen«, erinnerte ihn Beringar und lächelte.
»Und ich werde sie zu Ende führen. Aber jetzt laßt mich um Himmels willen schlafen! Ihr habt mich ohnehin schon Jahre meines Lebens gekostet!«
Hugh Beringar lachte – aber es war diesmal ein leises und bedrücktes Lachen. Er machte das Kreuzzeichen über Bruder Cadfaels sonnenverbranntem Gesicht und verließ den Schuppen.
Kapitel XI
Jeder Gast mußte einen Diener zum Festmahl beim König mitbringen, und so leuchtete es Abt Heribert ein, daß der Bruder, der das Massenbegräbnis in die Hand genommen und sogar mit dem König über das Verbrechen gesprochen hatte, ihn begleiten sollte, damit er gegebenenfalls über die Ergebnisse seiner Nachforschungen befragt werden konnte.
Wie immer zu solchen Gelegenheiten nahm Prior Robert seinen Gehilfen Bruder Jerome mit, der sicher eilfertiger mit Fingerschale, Mundtuch und Weinkrug zur Stelle sein würde, als Bruder Cadfael, dessen Gedanken um andere Dinge kreisten.
Die Stadt war festlich geschmückt, weniger, um den König zu ehren, als um die Tatsache zu feiern, daß Stephen bald weiterziehen würde. Die Wirkung war jedoch dieselbe. Edric Flesher hatte seinen Laden verlassen und hatte sich an die Hauptstraße gestellt, um die Gäste vorbeiziehen zu sehen, und Cadfael grüßte ihn mit einer kleinen Handbewegung, die andeuten sollte, daß er später noch mit ihm sprechen wollte, und zwar über so angenehme Dinge, daß es noch Zeit damit hatte. Edric grinste und winkte mit seiner großen, fleischigen Hand zurück, um zu zeigen, daß er verstanden hatte. Bei aller Freude über Godiths Flucht und ihre Begleitung durch einen fähigen jungen Mann würde Petronilla doch weinen, weil ihr Lämmchen jetzt fort war. Sobald ich diese letzte Pflicht hinter mich gebracht habe, dachte Cadfael, muß ich mit ihnen sprechen.
Im Schatten des
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