Bruder Cadfaels Buße
Kaplan war vor Erschöpfung eingenickt. Der Verwundete atmete in kurzen raschen Stößen, aber so flach, daß sich das Laken auf seiner Brust kaum hob. Sein Gesicht war von stumpfer Lehmfarbe, auf ihm lag tiefe Gelassenheit. Keine Linien des Schmerzes zeigten sich auf Stirn oder Lippen. Er war fern jeder Bewußtheit so alltäglicher Dinge wie Gefahr, Zorn oder Furcht. Gott halte ihn eine Weile in diesem Zustand und wende ab, was ihm an Bösem droht, dachte Cadfael.
Ohne Hilfe würde er ihn nicht zusammen mit den Toten hinausschaffen können. Cadfael erwog flüchtig, den Priester einzuweihen, verwarf aber den Gedanken sofort wieder. Keinesfalls durfte er den müden alten Mann in diese Sache verwickeln. Er könnte damit bei der Kaiserin in äußerste Ungnade fallen, und sie würde gewiß danach trachten, ihrer unerbittlichen Rachsucht sogleich Befriedigung zu verschaffen. Was zu tun war, mußte so geschehen, daß niemandem Vorhaltungen gemacht werden konnten und niemand das unbehagliche Gefühl hatte, Verrat zu begehen.
Einstweilen blieb nichts anderes übrig, als in aller Ruhe auf den Zeitpunkt zu warten, da er zur Tat schreiten konnte und um ihr Gelingen zu beten. Cadfael setzte sich in eine Ecke des Raumes, von wo aus er den schlummernden Priester ebenso wie den Verwundeten sah, dessen Sinne sich weiter entfernt hatten, als je in tiefen Schlaf. Er saß auch noch reglos da, als er das Trompetensignal hörte, mit dem die Aufmerksamkeit der Belagerer auf die weißen Banner gelenkt werden sollte, die im ersten schwachen Tagesschimmer von den Türmen von La Musarderie wehten.
Mit feierlichem Geleit kam FitzGilbert vom Dorf herabgeritten. Bruder Cadfael war in den Burghof hinausgetreten, um zu hören, wie die Übergabebedingungen lauten würden. Es überraschte ihn keineswegs, daß der Marschall, der sein Pferd vor dem Tor verhielt, Guy Camville als erstes fragte: »Wo ist Philip FitzRobert?« Es klang nachdrücklich und fordernd, offenkundig hatte er seine Befehle.
»Mein Gebieter ist schwer verwundet«, sagte Camville vom Wehrgang herab. »Er hat mich ermächtigt, wegen der Übergabe der Burg mit Euch zu sprechen. Ich erwarte, daß Ihr die Besatzung ehrenhaft und korrekt behandelt. Sofern Ihr dem zustimmt, kann die Kaiserin La Musarderie übernehmen. Wir sind allerdings keineswegs in so großer Bedrängnis, daß wir eine unehrenhafte oder ungehörige Behandlung hinnehmen würden. Wir haben Verwundete, und wir haben Tote. Ich fordere, daß ab sofort Waffenstillstand herrscht. Sobald Ihr zustimmt, werden wir Euch die Tore öffnen, damit Ihr seht, daß wir bereit sind, ihn einzuhalten und alle Waffen beiseitezulegen. Sobald Ihr Euch unserer Vertrauenswürdigkeit vergewissert habt, gebt uns Zeit bis Mittag, damit wir das Innere der Burg wieder etwas ordnen, unsere Verwundeten versorgen und die Toten zur Beerdigung hinausschaffen können.«
»Bisher habe ich nichts einzuwenden«, sagte der Marschall kurz. »Was weiter?«
»Wir sind nicht die Angreifer«, entgegnete Camville ebenso knapp, »und wir haben unserem Treueid gemäß gekämpft, wie sich das für einen Mann von Ehre geziemt, der Gefolgschaft gelobt hat. Ich verlange, daß man die Besatzung um die Mittagsstunde frei und ungehindert abziehen läßt, ferner, daß wir jeden Verwundeten mitnehmen dürfen, der gehfähig ist. Ich erwarte, daß Ihr Euch um die schwerer Verwundeten nach Kräften kümmert.
Unsere Toten werden wir selbst begraben.«
»Und was ist, wenn mir Eure Bedingungen nicht zusagen?« fragte FitzGilbert. Doch die Selbstgefälligkeit in seiner Stimme ließ erkennen, daß es ihm durchaus recht war, ohne weiteren Einsatz und Zeitaufwand zu bekommen, was zu erringen die Kaiserin mit ihren Heerscharen angerückt war. Die Krieger in der Burg bedeuteten nicht nur weitere Mäuler, die man stopfen mußte, sondern auch eine beständige Gefahr, falls sich die Lage unerwartet ändern sollte. Sie aus dem Weg zu wissen, war ihm durchaus recht.
»In dem Fall würdet Ihr mit leeren Händen zurückkehren«, gab Camville unerschrocken zurück. »Dann kämpfen wir bis zum letzten Pfeil und zum letzten Mann und lassen Euch teuer für die Ruine einer Burg zahlen, die Ihr unversehrt bekommen könnt, wenn Ihr richtig wählt.«
»Ihr laßt all Eure Waffen zurück«, forderte daraufhin der Marschall, »auch solche, die den Männern persönlich gehören. Außerdem dürft Ihr die Maschinen nicht unbrauchbar machen.«
Camville, den dieser Hinweis auf eine zustimmende
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