Bruder Cadfaels Buße
Schlüssel im Schloß und öffnete die Tür nur so weit, daß er in den Gang hinausspähen konnte.
Zwei junge Männer trugen gerade einen in Tücher gehüllten Leichnam auf einem langen hölzernen Fensterladen am Bergfried vorüber, wohl einen ihrer Waffengefährten, der weniger vom Glück begünstigt war als sie. Offenbar hatte man bereits begonnen, die Toten hinauszuschaffen, also mußte Cadfael rasch handeln. Wie alle anderen hatten die beiden ihre Waffen in der Waffenkammer abgeliefert, da niemand mehr um sein Leben zu kämpfen brauchte. Ihnen folgte ein Hauptmann aus der Wache des Marschalls und unterhielt sich mit einem Handwerker aus dem Dorf. Der Mann, den der Geruch von Holz umgab, trug eine Lederweste und erklärte dem Hauptmann in kompetenter Weise: »Man muß die Mauer so schnell wie möglich mit hölzernen Stützen unterfangen.
Steine kann man später einsetzen. Haltet Eure Männer von dort fern, bis am Nachmittag meine Gehilfen kommen und die Stützen anbringen.«
Innen- und Außenmauer des beschädigten Turms würden bald wieder sicher stehen und auf die Steinmetzen und Maurer warten. Es dürfte das beste sein, überlegte Cadfael, wenn ich dort ein wenig Umschau halte, bevor sie kommen, denn irgendwo in dem Schutt lag vielleicht noch ein Umhang mit dem Reichsadler auf der Schulter.
Es wäre nicht gut, wenn die Hauptleute der Kaiserin zu viele Fragen stellten. Gewiß, er könnte einem der Belagerer gehört haben, dem es gelungen war einzudringen.
Aber es ist kaum anzunehmen, daß jemand, der den Widder schwingt, ein derart behinderndes Kleidungsstück trägt. Je weniger den Leuten auffiel, desto besser.
Zuvor aber mußte er eine drängendere Aufgabe erledigen. Dazu brauchte er ein weiteres Paar Hände und zwar so schnell wie möglich, bevor noch mehr Zeugen auftauchten. Der Hauptmann hatte den Zimmermann nur bis zur Tür des Bergfrieds begleitet. Cadfael hörte, wie er zurückkehrte, öffnete die Tür vollständig und trat ihm in den Weg. Seine Mönchskutte gab ihm sozusagen das Recht, sich um die Toten zu kümmern und erleichterte es, andere zu bitten, ihm bei diesem frommen Werk behilflich zu sein.
»Herr, habt die Güte«, sagte er freundlich, »bei diesem hier mit anzufassen. Wir konnten ihn nicht mehr in die Kapelle schaffen.«
Der etwa fünfzigjährige Hauptmann, der gewiß froh war, nicht weiter um La Musarderie kämpfen zu müssen, hatte nichts dagegen, dem eifrigen Benediktiner zu Gefallen zu sein. Es würde ihn nur wenige Minuten kosten, und sonst blieb ihm ohnehin nicht mehr zu tun, als anderen bei der Arbeit zuzusehen. Nach einem Blick auf Cadfael spähte er mit einem gutmütigen Achselzucken durch die offene Tür der Kammer. Sie war so karg eingerichtet und so kalt, daß man nicht ohne weiteres auf den Gedanken kommen würde, es könnte sich um das Gemach des Burgherrn handeln. Der Hauptmann hatte behaglichere und üppiger eingerichtete Wohnstätten gesehen.
»Schließt einen anständigen Krieger in Eure Gebete mit ein«, antwortete er, »und ich bin Euer Mann, Bruder. Ich hoffe nur, daß auch mir einmal jemand diesen letzten Dienst erweist, wenn ich ihn brauche.«
»Dazu sage ich Amen!« bekräftigte Cadfael. »Ich werde Euch bei meinem nächsten Gebet nicht vergessen.«
Im Hinblick auf das, was er von dem Mann erwartete, war es das mindeste, was er für ihn tun konnte.
So kam es, daß einer der Männer der Kaiserin ans Kopfende von Philips Lager trat und sich niederbeugte, um den eingehüllten Körper bei den Schultern zu fassen. Er lag da wie ein Toter, und unwillkürlich kam Cadfael der Gedanke, daß man jederzeit mit seinem Hinscheiden rechnen mußte. Die Leblosigkeit eines von seinen Sinnen verlassenen Leibes, bei dem nur ein dünner Atemfaden anzeigt, daß die Grenze noch nicht überschritten ist, hat große Ähnlichkeit mit der Stille, die eintritt, nachdem die Seele von ihm gewichen ist. Der Gedanke rief einen sonderbaren Kummer in Cadfael hervor, so, als hätte er und nicht Robert von Gloucester einen Sohn verloren. Doch er schob ihn von sich.
»Nehmt die Bahre mit auf«, sagte er, »wir werden sie zurückbringen, sofern sie noch verwendbar ist. Er hat heftig geblutet, und das Stroh der Matratze brauchen wir nicht mehr.«
Gehorsam ergriff der Mann das Ende der Bahre und hob sie so leicht an, als trügen sie ein Kind. Cadfael nahm das andere Ende und hielt es, als sie in den Gang hinaustraten, für einen Moment mit einer Hand, um die Tür ins Schloß zu drücken. Auf
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