Bruder Cadfaels Buße
mit Olivier? Ich hatte angenommen, ich würde ihn unter den anderen im Rittersaal sehen. Ich habe Bohuns Verwalter nach Gefangenen gefragt, er aber wußte nichts und hat behauptet, hier seien keine gewesen. Wo kann er denn sein? Philip hatte uns doch gesagt, daß sich Olivier hier befindet.«
»Und Philip lügt nicht«, wiederholte Cadfael die Worte, die offensichtlich sogar unter seinen Feinden ein Glaubensartikel waren. »Nein, wirklich, er lügt nicht. Er hat uns die Wahrheit gesagt. Olivier war hier, in einem Verlies tief unter einem der Türme. Was die Frage betrifft, wo er sich jetzt aufhält... Sofern alles gutgegangen ist, und warum sollte es das nicht - schließlich hat er Freunde hier in der Gegend! - müßte er sich augenblicklich im Augustinerkloster von Cirencester befinden.«
»Habt Ihr ihm noch vor der Übergabe der Burg zur Freiheit verholfen? Aber warum ist er dann fortgegangen, wo FitzGilbert und die Kaiserin schon vor dem Tor warteten? Seine eigenen Leute?«
»Nicht ich habe ihn befreit«, erklärte Cadfael geduldig.
»Nach seiner Verwundung hielt Philip seinen Tod für unausweichlich und hat, um seine Männer zu schonen, Camville den Befehl erteilt, er möge die besten Bedingungen für sie aushandeln - zumindest Leben und Freiheit - und dann die Burg übergeben.«
»Im vollen Bewußtsein dessen, daß er selbst keine Gnade erwarten durfte?« fragte Yves.
»Ja. Im vollen Bewußtsein dessen, was sie ihm zugedacht hatte und was ich aus Euren Worten wußte«, sagte Cadfael. »Zugleich aber im vollen Bewußtsein dessen, daß sie alle anderen ziehen lassen würde, solange sie ihn in die Hände bekam. Überdies hat er auch an Olivier gedacht. Er hat mir die Schlüssel zu seinem Verlies gegeben und mich hinabgeschickt, damit ich seine Fesseln löse. Das habe ich getan und mit seiner Hilfe Philip FitzRobert auf den Weg zu den Mönchen nach Cirencester gebracht, wo er sich, wie ich hoffe, in Sicherheit befindet und mit Gottes Hilfe von seinen Wunden genesen wird.«
»Aber wie habt Ihr ihn aus der Burg geschafft, wo doch die Truppen der Kaiserin bereits am Tor Wache hielten?
Und hat er zugestimmt?«
»Ihm blieb keine Wahl«, antwortete Cadfael. »Er war nur so lange bei Bewußtsein, daß er entscheiden konnte, sein Leben im Tausch für das seiner Männer aufzuopfern.
Er lag in tiefer Ohnmacht, als ich ihn eingehüllt und zu den Toten hinausgebracht habe. Nein, Olivier war nicht dabei. Einer der Männer des Marschalls hat mir geholfen, ihn zu tragen, ohne zu ahnen, was er tat. Olivier hatte, als sich die Belagerer zurückzogen, die Burg heimlich bei Nacht verlassen, um an der Mühle von Winstone ein Fuhrwerk zu beschaffen. Er ist mit dem Müller gekommen, der angeblich den Leichnam eines Verwandten abholen wollte, und das hat man ihnen gestattet - unter den Augen der Wächter.«
»Wie gerne wäre ich dabeigewesen!« sagte Yves tief beeindruckt.
»Mein Junge, ich war froh, daß Ihr nicht dabei wart. Ihr hattet Eure Aufgabe erledigt, und ich danke Gott, daß Ihr bei diesem gefährlichen Spiel in Sicherheit gewesen seid.
Jedenfalls ist das Wagestück gelungen, und zum Ausgleich dafür, daß ich Olivier fortgeschickt habe, seid Ihr zumindest heute bei mir. Das Schlimmste ist abgewendet.
In diesem Leben ist dies oft das beste, was sich sagen läßt, und wir müssen uns damit zufriedengeben.« Mit einem Mal überfiel ihn tr>_ tz aller Entspannung und Zufriedenheit eine große Mattigkeit.
»Olivier wird zurückkehren«, sagte Yves und lehnte sich an Cadfaels Schulter. »Auf ihn wie auf Euch wartet Ermina in Gloucester. Ihre Stunde dürfte nahe herangerückt sein und so gibt es vielleicht ein weiteres Patenkind für Euch.« Zu dem Zeitpunkt wußte Yves noch nicht, daß dieses Kind Cadfael noch weit näher stehen würde, ihm nicht nur seelenverwandt war, sondern auch blutsverwandt. »Ihr habt schon einen so weiten Weg zurückgelegt, begleitet uns doch, bleibt bei uns an einem Ort, wo Ihr willkommen seid. Welche Sünde kann es bedeuten, wenn Ihr Euch noch einige Tage ausborgt?«
Doch Cadfael schüttelte den Kopf, zögernd zwar, aber entschlossen. »Nein, das darf ich nicht. Als ich Coventry zu dieser Unternehmung verließ, habe ich das Gehorsamsgelübde meinem Abt gegenüber gebrochen, der mir bereits großzügig Urlaub gewährt hatte. Jetzt ist das vollbracht, weshalb ich meiner Berufung entsagt habe. Vielleicht bleibt mir noch eine winzige Aufgabe, aber wenn ich länger verweile, werde ich mir selbst
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