Bruder Cadfaels Buße
Haar, war schweigsam, hatte verschlossene Gesichtszüge und würde unter der neuen und bisher noch unbekannten Herrschaft erst einmal vorsichtig abwarten. Er warf einen Blick über die Schulter auf Cadfael, überlegte kurz und sagte, ohne die Lippen zu bewegen, aber deutlich vernehmbar: »Wenn Ihr ihm wohlgesonnen seid, Bruder, ist es am besten, Ihr laßt ihn ziehen.«
»Und bist du ihm wohlgesonnen?« fragte Cadfael in gleicher Manier. Er beherrschte diese Fähigkeit, die bisweilen nützlich war.
Darauf bekam er keine Antwort, doch hatte er auch weder eine erwartet, noch brauchte er sie.
»Verzage nicht! Wenn die Zeit kommt, berichte, was du gesehen hast.«
Sie erreichten die Kammer. Cadfael öffnete die Tür, die Weinflasche in der anderen Hand. Im Dämmerlicht des kahlen und düsteren Raumes sah man, daß die Wolldecken hierhin und dorthin geschleudert waren: Das Lager war leer. Fast hätte Cadfael der Versuchung nachgegeben, die Flasche fallen zu lassen, damit sein Erstaunen und seine Besorgnis glaubwürdig wirkten. Doch fiel ihm rechtzeitig ein, daß Benediktiner auf unerwartete Situationen üblicherweise nicht damit reagieren, daß sie Gegenstände fallen lassen, schon gar nicht, wenn es um volle Weinflaschen geht. Überdies hatte er diesem Zufallsgefährten gerade erst mehr oder weniger deutlich anvertraut, was er bereits wußte, so daß jegliche Notwendigkeit einer Täuschung entfiel. Gewiß würde mancher von Philips Gesinde innerlich über die Befreiung ihres Herrn frohlocken.
Also unterdrückten beide einen Ausruf und standen statt dessen stumm und befriedigt da. Der Blick, den sie miteinander tauschten, war beredt, aber für den Fall, daß jemand vorüberkam, der es nicht hätte hören dürfen, versagten sie es sich, ihrer Empfindung Worte zu verleihen.
»Komm!« sagte Cadfael und wurde munter. »Wir müssen das berichten. Bring den Eimer mit!« fügte er gebieterisch hinzu. »Es kommt auf die Kleinigkeiten an, wenn eine Geschichte überzeugend wirken soll.«
Er eilte im Laufschritt vorauf, die Weinflasche nach wie vor in der Hand. Während der Küchenjunge hinter ihm drein lief, spritzte bei jedem Schritt Wasser aus dem Eimer. Am Eingang zum Saal hätte Cadfael fast einen von Bohuns Rittern umgerannt, als er atemlos hervorstieß:
»Ist der Marschall zugegen? Ich muß unbedingt mit ihm sprechen. Wir kommen gerade aus FitzRoberts Gemach.
Er ist nicht da. Das Lager ist verlassen, er ist fort.«
Cadfaels Bericht hinterließ eine nachhaltige Wirkung bei den im Rittersaal Versammelten - Marschall, Haushofmeister und ein halbes Dutzend Grafen und Barone - und entlockte ihnen einen Aufschrei, in dem sich Wut, Verzweiflung, Mißtrauen und Hilflosigkeit mischten. Cadfael gab sich wortreich und besorgt, und der Küchenjunge hatte Verstand genug, sich als Verkörperung tumber Bestürzung zu gebärden.
»Meine Herren, ich habe ihn vor Mittag verlassen, um dem Kaplan vor der Burg bei der Beisetzung der Toten zur Hand zu gehen. Ich hatte in der Burg für einige Nächte um Unterkunft gebeten und halte mich nur zufällig hier auf.
Da ich über gewisse Fertigkeiten verfüge, habe ich mich bereit erklärt, Philip FitzRobert zu pflegen und zu betreuen, so gut es in meinen Kräften steht. Als ich ihn verließ, lag er nach wie vor in tiefer Ohnmacht, wie meist seit seiner Verwundung. Also nahm ich an, ihn verlassen zu können. Ihr habt ihn ja heute morgen selbst gesehen«, sagte er zum Marschall gewandt. »Doch wie ich jetzt zu ihm zurückkehre...« Er schüttelte den Kopf, als könne er es noch nicht glauben. »Aber wie konnte das geschehen? Er lag, wie ich schon sagte, in tiefer Ohnmacht. Ich wollte ihn mit heißem Wasser waschen und mit Wein aus der Vorratskammer stärken, und habe diesen Burschen hier gebeten, mitzukommen und mir zur Hand zu gehen. Und jetzt ist er fort! Es ist völlig ausgeschlossen, daß er aus eigener Kraft aufgestanden und davongegangen ist, das schwöre ich.
Dennoch ist er fort! Der Junge wird es Euch bestätigen.«
Dieser nickte so lange und so heftig, daß ihm das zottige Haar ins Gesicht fiel. »Gott ist mein Zeuge! Das Lager ist leer, die Kammer ist leer. Er ist einfach fort.«
»Schickt hin und laßt nachsehen«, sagte Cadfael. »Ein Irrtum ist nicht möglich.«
»Fort!« explodierte der Marschall. »Wie kann das zugehen? Hattet Ihr bei Eurem Weggang nicht die Tür verschlossen? Oder eine Wache aufgestellt?«
»Dazu sah ich keinen Anlaß«, erwiderte Cadfael gekränkt. »Ich
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