Bruder Cadfaels Buße
sage Euch, er konnte weder Hand noch Fuß rühren. Auch gehöre ich nicht zu seinen Bediensteten und war ohne Anweisungen. Seine Pflege hatte ich völlig freiwillig übernommen.«
»Das bezweifelt niemand, Bruder«, sagte der Marschall barsch. »Aber gewiß habt Ihr Eure Pflege vernachlässigt, wenn er mehrere Stunden sich selbst überlassen blieb.
Man muß füglich Eure ärztliche Kunst bezweifeln, wenn Ihr einen so tatkräftigen Mann als tödlich krank und bewegungsunfähig angesehen habt.«
»Ihr mögt den Kaplan fragen«, gab Cadfael zurück. »Er wird Euch bestätigen, was ich gesagt habe. Der Mann war völlig bewußtlos und stand an der Pforte des Todes.«
»Und zweifellos glaubt Ihr an Wunder?« sagte Bohun höhnisch und aufgebracht.
»Das will ich nicht bestreiten und habe guten Grund dazu. Bedenkt das, meine Herren«, stimmte Cadfael bereitwillig zu.
»Fragt die Torwächter«, befahl der Marschall, an einige seiner Hauptleute gewandt, »ob unter den Verwundeten jemand die Burg verlassen hat, der FitzRobert ähnlich sah.«
»Niemand«, sagte Bohun knapp und entschieden, winkte aber dennoch drei seiner Männer herbei, damit sie bestätigten, wie streng die Bewachung gewesen war.
»Und Ihr, Bruder, kommt mit. Wir wollen uns das Wunder doch näher ansehen.« Mit diesen Worten trat er hinaus in den Burghof, von einem Kometenschweif besorgter Untergebener gefolgt. Cadfael und der Küchenjunge, dessen Eimer inzwischen so gut wie leer war, schlössen sich der Prozession an.
Die Tür stand weit offen, so, wie sie sie verlassen hatten. Der Raum war so übersichtlich und kärglich eingerichtet, daß es kaum nötig war, über die Schwelle zu treten, um zu sehen, daß sich niemand darin befinden konnte. Es fiel nicht weiter auf, daß die Strohmatratze fehlte, da die Decken unordentlich beiseite geworfen worden waren, und niemand sich die Mühe machte, sie zu durchwühlen. Zwar mochte alles mögliche unter ihnen liegen, aber mit Sicherheit kein Mensch.
»Weit kann er nicht sein«, sagte der Marschall und wirbelte ebenso heftig herum, wie er herbeigeeilt war. »Er muß noch in der Burg sein, denn an den Wächtern konnte niemand vorbei. Wir werden ihn finden, und wenn wir jede Ratte aus ihrem Winkel aufscheuchen müssen.«
Schon nach wenigen Minuten hatte er die Umstehenden in alle Richtungen auf die Suche geschickt. Cadfael und der Küchenjunge tauschten einen Blick, der Bände sprach, wagten aber kein Wort zu äußern. Der Junge, dessen Gesicht nichts von der großen Freude verriet, die er empfand, kehrte ohne Eile an seine Arbeit zurück. Cadfael, dessen innere Spannung einer großen Erleichterung Platz gemacht hatte, erinnerte sich an das Vespergebet und begab sich in die Kapelle.
Der Marschall betrieb die Suche nach Philip nicht nur mit der von ihm angedrohten Gründlichkeit, sondern dem Anschein nach auch mit Überzeugung, Cadfael fragte sich dennoch, ob das Verschwinden des Gefangenen FitzGilbert nicht auch erleichtert hatte. Nicht etwa, weil er für ihn Mitgefühl empfunden hätte, und auch nicht, weil er eine so grimmige Rache, wie sie die Kaiserin plante, mißbilligte. Aber sein Verstand müßte ihm sagen, daß eine solche Untat das Morden weiter angeheizt und verlängert und selbst jene der Sache der Kaiserin entfremdet hätte, die ihr bis dahin nach besten Kräften gedient hatten. Nachdem die Suche ergebnislos blieb, war klar, daß der Marschall noch am selben Abend seiner kaiserlichen Herrin davon würde Mitteilung machen müssen, bevor sie mit allem Pomp in La Musarderie einzog. Das war eine unverhoffte Gnade. Auf diese Weise war dafür gesorgt, daß sie den ersten Ausbruch ihres Zorns an jenen austobte, die nicht einmal sie zu demütigen und zu vernichten wagte. Erst dann kam sie mit Untergebenen in Berührung, mit denen sie nach Gutdünken verfahren konnte, weil sie ihr auf Gedeih und Verderb ausgeliefert waren.
Der völlig erschöpfte Kaplan stoppelte die Vesperandacht zusammen, so gut er konnte, und Cadfael versuchte, sich auf seine geistliche Verrichtung zu konzentrieren. Irgendwo zwischen La Musarderie und Cirencester, oder gar schon in der Sicherheit des dortigen Augustinerklosters, pflegte und bewachte Olivier den Mann, dessen Gefangener er gewesen war und der sich jetzt sozusagen in seiner Gewalt befand, den Freund, der sich zum Feind gewandelt hatte. Wie auch immer man diese Beziehung nennen mochte, sie blieb um so unwandelbarer und unverletzlicher, je mehr sie sich in ihr Gegenteil
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