Bruder Cadfaels Buße
mächtig genug, einen Übergriff gegen einen ihrer Schützlinge zu verhindern.
»Sprecht!« sagte Stephen und sah sich unter den aufmerksamen Gesichtern um, undurchdringliche Mienen, die hie und da unauffällig zum Nachbarn blinzelten.
»Wenn einer der hier Anwesenden sagen kann, daß er diesen Mann während der Komplet in der Kirche gesehen hat, möge er das tun und ihm sein Recht werden lassen. Er sagt, er sei unbewaffnet gekommen, um Gott zu dienen, wie es seine Pflicht war, und er habe bis zum Ende an der Andacht teilgenommen. Wer bestätigt seine Aussage?«
Es herrschte völliges Schweigen. Abgesehen von verstohlenen Blicken gab es keine Bewegung. Niemand sagte ein Wort.
»Wie Eure Majestät sieht«, unterbrach Philip schließlich die langwährende Stille, »ist niemand willens, seine Worte zu bestätigen. Auch glaubt ihm niemand.«
»Das beweist nicht, daß er die Unwahrheit sagt«, gab Roger de Clinton zu bedenken. »Nur allzu häufig vermag die Wahrheit keine Zeugen beizubringen und findet daher keinen Glauben. Ich sage nicht, daß seine Aussage damit bestätigt ist, aber man hat ihm auch keine Lüge nachgewiesen. Wir haben nicht jeden gehört, der heute abend an der Komplet teilgenommen hat, und nicht einmal das wäre ein Beweis dafür, daß er die Unwahrheit behauptet.
Wenn aber auch nur ein Mann vortritt und sagt: >Ich habe nahe der Tür bei ihm gestanden, bis das letzte Gebet beendet war, und wir sind hinausgegangen, um den Eingang freizumachen, wäre die Wahrheit seiner Aussage erwiesen. Majestät, wir sollten den Fall weiter verfolgen.«
»Dazu bleibt uns keine Zeit«, erwiderte der König mit finster gerunzelter Stirn. »Morgen verlassen wir Coventry. Warum uns verweilen? Es ist alles gesagt.«
Zurück aufs Schlachtfeld, dachte Cadfael. Jetzt sind die Feuer neu entflammt, und der König wartet nur auf einen Vorwand, loszuschlagen.
»Ich verbiete jede Gewalttat innerhalb dieser Mauern«, sagte Roger de Clinton aufgebracht, »auch wenn sie dazu dienen soll, eine Gewalttat zu sühnen. Überdies fordere ich euch auf, auch außerhalb dieser Mauern jeglicher Rachsucht zu entsagen. Wo es keine ordnungsgemäße Suche nach Gerechtigkeit gibt, dürfen wir nicht einmal jene bestrafen, die wir für schuldig halten.«
»Das ist auch nicht nötig«, sagte Philip finster. »Ich verlange einen Blutpreis für meinen Mann. Wenn Euer Gnaden an Gerechtigkeit gelegen ist, möge er dafür sorgen, daß dieser Mann gefesselt hier bleibt, damit ihn die Gerichtsbeamten der Stadt bis zur Verhandlung festhalten und den Fall untersuchen können. In unserem Land gibt es Mittel, dem Recht zur Geltung zu verhelfen. Man möge sie nützen! Übergebt ihn dem weltlichen Arm, denn er hat das Gesetz gebrochen und muß diesen Tod IO mit seinem Leben büßen, so gewiß wir sterben müssen.
Wie könnt Ihr daran zweifeln? Wer sonst war draußen?
Wer sonst hat sich so bitter mit Brien de Soulis geschlagen oder einen solchen Groll gegen ihn gehegt? Wir finden ihn über den Toten gebeugt, während kaum ein anderer Mensch in der Nacht unterwegs ist, und Ihr zweifelt noch?«
Es schien Cadfael, als hätte Philip mit seiner bitteren Überzeugung auch den König auf seine Seite gebracht.
Stephen hatte keinen besonderen Anlaß, den Unschuldsbeteuerungen eines ihm unbekannten jungen Mannes zu glauben, gegen den alles sprach. Außerdem handelte es sich um einen Vertreter der Gegenseite, der verdächtigt wurde, ihn eines wertvollen Kämpfers beraubt zu haben, der ihm noch kurz zuvor einen so bedeutenden Dienst erwiesen hatte. Stephen zögerte, offenkundig nur allzu bereit, die Bürde auf andere Schultern abzuladen und sich erneut seinen kriegerischen Verrichtungen hinzugeben.
Die bloße Andeutung, er könne es daran fehlen lassen, in seinem eigenen Reich den Gesetzen Geltung zu verschaffen, veranlaßte ihn, Yves den weltlichen Behörden zu übergeben und die eigenen Hände in Unschuld zu waschen.
»Dazu habe ich etwas zu sagen«, meldete sich die Kaiserin energisch zu Wort. »Die Zusammenkunft hier in Coventry ist auf beiden Seiten an die Zusage freien Geleits gebunden, damit jeder teilnehmen kann, ohne um seine Sicherheit fürchten zu müssen. Was auch immer hier vorgefallen ist, niemand kann diese Zusage zurücknehmen. Ich bin mit einer bestimmten Anzahl von Gefolgsleuten gekommen und werde morgen mit genau dieser Zahl wieder aufbrechen, denn für jeden von ihnen gilt die Zusage freien Geleits. Niemandem hat man ein Unrecht nachgewiesen,
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