Bruder Cadfaels Buße
zurück, die ihn wie ein Peitschenhieb traf. In Anbetracht seines Standes und der Vorrechte, die dieser mit sich brachte, wäre er nicht im Traum auf den Gedanken gekommen, man könne ihn auf diese Weise verdächtigen. Mit offenem Mund starrte er seinen Ankläger sprachlos an und quittierte als der arglose Tor, der er war, die Bezichtigung mit ungläubigem Lächeln - fast war es ein Lachen -, bis er begriff, wie die Dinge standen. Sein Gesicht wurde bleicher als ein Laken. Erregt um sich blickend erkannte er in einem Dutzend Augenpaare um sich herum die gleiche mißtrauische Überzeugung. Schwer atmend brachte er schließlich heraus: »Ich? Ihr glaubt also, daß ich...? Ich bin gerade aus der Kirche gekommen und über ihn gestolpert. Er hat hier so gelegen, wie Ihr ihn seht...«
»An Eurer Hand klebt Blut«, sagte Philip durch zusammengebissene Zähne. »Das ist nur allzu verständlich - wer außer Euch hätte die Tat begehen können? Hier steht Ihr über seinem Leichnam, und niemand außer Euch war in der Nähe. Überdies wart Ihr voller Groll gegen ihn, wie jeder der hier Anwesenden weiß.«
»Ich habe ihn so gefunden, wie er hier liegt«, begehrte Yves wild auf. »Ich bin niedergekniet, weil ich mich um ihn kümmern wollte. Es war dunkel, ich wußte nicht, ob er lebte oder tot war. Ich habe aufgeschrien, als ich über ihn gestrauchelt bin. Ihr habt mich gehört! Ich habe gerufen, damit jemand Licht bringt, um ihm zu helfen, sofern das möglich war...«
»Welch bessere Möglichkeit gäbe es«, fragte Philip voll Bitterkeit, »sich als schuldlos hinzustellen und Zeugen der Unschuld herbeizurufen? Wir waren Euch dicht auf den Fersen. Die Zeit, unauffällig zu verschwinden und den Toten hier liegenzulassen, hattet Ihr nicht. Er unterstand mir, war der Befehlshaber meiner Leute. Ich habe ihn sehr geschätzt! Sofern es eine Gerechtigkeit gibt, werdet Ihr mir dafür bezahlen.«
»Ich sage es noch einmal: Ich habe gerade die Kirche verlassen, er lag hier im Weg, und ich bin über ihn gestrauchelt. Ich hatte mich zur Komplet verspätet und mußte gleich bei der Tür stehen bleiben.« Inzwischen war er sich über seine verzweifelte Lage klar geworden. Seine Stimme klang betont vernünftig und entschlossen. »Es muß noch andere geben, die wie ich zu spät gekommen sind und in meiner Nähe standen. Sie können bestätigen, daß ich den Kreuzgang erst vor wenigen Augenblicken betreten habe. De Soulis trägt ein Schwert. Bin ich etwa bewaffnet? Schaut nur her! Ich habe keinen Stahl bei mir, weder Schwert noch Stoßdegen! Keiner, der an den Andachten und Gebeten teilnimmt, darf Waffen tragen.
Ich bin zur Komplet gekommen und habe mein Schwert in der Unterkunft gelassen. Wie hätte ich ihn da töten können?«
»Jedes Eurer Worte ist eine Lüge«, sagte Philip, der jetzt über dem Leichnam seines Waffengefährten stand.
»Ich glaube Euch nicht, daß Ihr in der Kirche wart. Wer spricht für Euch? Ich höre niemanden. Während wir uns dort aufhielten, blieb Euch mehr als genug Zeit, Euer Schwert zu säubern, es in Eure Unterkunft zurückzubringen und dort auf das Ende des Gebets zu warten.
Dann habt Ihr uns waffenlos herbeigerufen, damit wir ihn in seinem Blut entdecken. Und jetzt wollt Ihr den Mord auf einen Unbekannten schieben - Ihr, von dem jeder weiß, daß Ihr sein Feind wart! Alles weist darauf hin, daß das nur Euer Werk sein kann, sein muß, ist.« Cadfael war von den vielen Neugierigen eingezwängt, die den Schauplatz umdrängten. Er konnte sich weder zum König und der Kaiserin durcharbeiten, noch sich gegen den Lärm von einem Dutzend Stimmen Gehör verschaffen, die sich bereits über den Kreuzgang hinweg miteinander stritten.
Zwischen den sich reckenden Hälsen sah er im Schein der Fackeln deutlich Philips regloses Gesicht. Irgendwo inmitten des Durcheinanders aus Erregung und Bestürzung der jeweiligen Angehörigen beider Parteien erhoben zweifellos die Bischöfe ihre Stimme, geboten Stille und mahnten zur Vernunft, ohne daß jedoch irgend jemand auf sie hörte. Erst als sich Stephen mit seiner donnernden Stimme gebieterisch vernehmen ließ, sorgte er dafür, daß jedes Geräusch erstarb.
»Ruhe! Schluß mit dem Tumult!«
Wie ein Stein legte sich Stille über die Szene. Jede Bewegung erstarb, alle hielten den Atem an. Doch war das nur von kurzer Dauer, und schon bald schlurften verstohlen Füße über den Boden, raschelten Ärmel, atmeten Männer hörbar ein und begannen sogar, sich im Flüsterton zu dem
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