Bruder Cadfaels Buße
Mauern errichteten Schuppen, Vorratshäuser, Waffenkammern und beengten Quartiere bestanden hauptsächlich aus Holz. Feuer, dachte Cadfael, mochte eine Gefahr bedeuten, wenn auch nur in Grenzen. Die Wände des Rittersaals bestanden wie der Bergfried, die Türme und die Ringmauer aus Bruchstein.
Er überlegte, warum er die Anlage musterte, als wäre sie ein Kriegsziel, eine Festung, die er einnehmen mußte.
Vielleicht war sie das für ihn auch, aber auf keinen Fall im militärischen Sinne.
»Steigt ab und seid willkommen, Bruder«, sagte der Wachhabende freundlich. »Männer Eures Standes weisen wir nie ab. Was unseren Herrn betrifft, werdet Ihr eine Weile warten müssen, denn er ist ausgeritten. Doch er wird von Eurer Bitte bald erfahren, seid unbesorgt. Peter mag sich um Euer Pferd kümmern, er wird Euch auch die Satteltaschen in die Unterkunft bringen.«
»Um mein Pferd kümmere ich mich selbst«, sagte Cadfael voll Sanftmut. Es war immer gut zu wissen, wo man es notfalls finden konnte, auch wenn der Wachhabende den Anschein erweckte, als sei er überzeugt, es lediglich mit einem einfachen Klosterboten zu tun zu haben, von dem man keinen Täuschungsversuch zu befürchten brauchte. »Ich war vor vielen Jahren selbst Reisiger; was man da lernt, geht einem in Fleisch und Blut über.«
»Das stimmt«, sagte der Wachhabende verständnisvoll und ließ dem alten Kämpen seinen Willen. »Dann wird Peter Euch voraufgehen und Euch alles zeigen. Wenn Ihr fertig seid, werdet Ihr jemanden im Rittersaal finden, der sich Euer annimmt. Da Ihr selbst Waffen getragen habt, werdet Ihr auch an die Umstände dieses Lebens gewöhnt sein.«
»Und bin damit zufrieden«, stimmte Cadfael aufrichtig zu und führte sein Pferd am Zügel hinter dem Reitknecht her. Immerhin war er am Ort seiner Wünsche angelangt.
Ihm entging nicht, daß Philip seine Burg offenkundig straff führte und die Besatzung in aufmerksamer Wachsamkeit hielt. Er mußte an den finster wirkenden, aber durchaus die Formen der Höflichkeit wahrenden Mann denken, den er, wenn auch nur kurz, in der Prioreikirche von Coventry aus nächster Nähe erlebt hatte - er hätte von ihm nichts anderes erwartet. In jeder Burg führte die Besatzung ihr eigenes vielgestaltiges Leben, das auf zwei voneinander getrennten Ebenen abläuft, der kriegerischen und der häuslichen. Dabei greift in der Brunnenstube wie in der Bäckerei, in der Waffenkammer wie in den Vorratsräumen und Werkstätten ein Rädchen ins andere. In der Burg von La Musarderie schien die häusliche Seite des Lebens so weit wie möglich vermindert worden zu sein und nahezu ohne Frauen abzulaufen. Sie lag in einem umkämpften Gebiet, mochten die Gefahren, die durch den Krieg drohten, auch ungewiß sein. Es war denkbar, daß Philips Haushofmeister eine Gattin hatte, die den wenigen Dienerinnen vorstand, die es geben mochte, doch alles, was Cadfael beobachtete, richtete sich an den militärischen Bedürfnissen aus und wurde von Männern erledigt. Die notwendigen Verrichtungen wurden mit einer kalten Nüchternheit erledigt, die gewiß auf den Burgherrn zurückging. Der ehe- und kinderlose Philip war ganz und gar in den dämonischen Konflikt verstrickt, den niemand beenden zu können schien, und das Leben in seiner Burg spiegelte seine Besessenheit wider.
Im Hof wie in den Stallungen herrschte reges Treiben.
Männer kamen und gingen, taten ihre Arbeit zügig, aber ohne Hast, und das Stimmengewirr ähnelte dem geschäftigen Summen in einem Bienenstock. Der Reitknecht Peter plauderte unbeschwert mit Cadfael, während sie dem Pferd Sattel und Satteltaschen abnahmen, es versorgten, tränkten und in den Stall führten. Dann wies er ihm freundlich den Weg zum Rittersaal. Der Gehilfe des Haushofmeisters, der ihn dort empfing, zeigte sich nur kurz überrascht und nahm dann mit einem Achselzucken zur Kenntnis, daß es einen unerwarteten, aber harmlosen Besucher aufzunehmen und zu bewirten galt. Er wies Cadfael eine Schlafstatt an und erklärte ihm auf seine Bitte hin den Weg zur Kapelle. Auch wenn die Stunde des Vespergebets vorüber war, wollte er doch eine Weile allein sein, Gott für die gegenwärtigen Segnungen danken und für künftige Auseinandersetzungen seine Hilfe erbitten. Ein älterer Benediktiner, der um Unterkunft für die Nacht bat, war nicht so aufregend, daß man sich länger als einen kurzen Augenblick mit ihm beschäftigt hätte, selbst an einem Ort, an dem nur selten freiwillig jemand zu Gast weilte.
Die
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