Bruder Cadfaels Buße
Gelände rings um die ganze Anlage war von jeglichem Bewuchs befreit, der Deckung hätte bieten können, zwei feste Türme bewachten das nach Osten gelegene Tor, dem er sich näherte, und zinnenbekrönte Ecktürme umstanden schützend den hohen Bergfried, der sich im Burghof erhob. Hinter der Burg stieg das Gelände steil bis zu einem langgezogenen Berggrat an, auf dem man über Baumwipfeln die äußerste Spitze eines Kirchturms und hier und da eine geneigte Dachfläche ausmachen konnte - das Dorf Greenhamsted.
Zum Tor der Burg führte ein schnurgerade verlaufender aufgeschütteter Damm, der weder links noch rechts Deckung bot. Ungesehen konnte sich La Musarderie niemand nähern.
Entschlossen und überzeugt, daß man ihn sehen und anrufen würde, machte sich Cadfael an den Anstieg. Es war nicht vorstellbar, daß Philip FitzRobert untüchtige Untergebene duldete. Die Mitteilung von seiner Ankunft erfolgte lange, bevor er für einen Anruf nahe genug herangekommen war. Ein kurzer Hornstoß ertönte irgendwo im Inneren der Anlage, woraufhin das große Doppeltor geschlossen wurde. Angesichts der vorgerückten Abendstunde war es verständlich, daß man alles sicherte.
Man ließ jedoch eine Schlupftür offen, hoch und breit genug, einem Berittenen auch dann noch Einlaß zu gewähren, wenn er verfolgt wurde und im Galopp reiten mußte, und leicht genug, um sie hinter ihm zuschlagen und verriegeln zu können, kaum daß er die Sicherheit des Burghofs erreicht hatte. Die doppelten Schießscharten in den Mauern der beiden niedrigen Türme links und rechts des Tores ermöglichten es, Verfolger mit einem Pfeilhagel einzudecken. Innerlich nickte Cadfael zustimmend. Seine kriegerischen Instinkte gingen zwar auf weit in der Vergangenheit liegende Zusammenstöße zurück, doch waren sie keineswegs vergessen.
Einem solchen Tor, wie unschuldig auch immer es offenstehen mag, nähert man sich wachsam und achtet darauf, daß jederzeit beide Hände zu sehen sind. Dabei geht man weder vorschnell zu Werke, noch zögert man unnötig. Cadfael ritt die letzten Schritte heran und hielt sein Tier vor dem Tor an, obwohl sich niemand gezeigt hatte - weder, um ihn willkommen zu heißen, noch um ihn zurückzuweisen. Nachdem er in den offenen Durchlaß gerufen hatte: »Friede sei mit Euch allen!« schob er sich, ohne eine Antwort abzuwarten, sacht durch die Öffnung in den äußeren Burghof.
Im dunklen, gewölbten Torweg sah er Krieger zu beiden Seiten, und im Hof standen zwei Männer bereit, nach Zügel und Steigbügeln zu greifen. Sie übereilten sich nicht und nahmen keine drohende Haltung ein, schienen aber auf der Hut zu sein.
»Und jedem, der in friedlicher Absicht kommt«, antwortete der Hauptmann der Wache und trat mit einem schmalen Lächeln aus dem Wachraum. »Das ist bei Euch offensichtlich der Fall, Bruder. Euer Gewand spricht für Euch.«
»Es sagt die Wahrheit«, gab Cadfael zurück.
»Was ist Euer Begehr, und was ist Euer Ziel?« fragte der Wachhabende.
»Ich bin hier in La Musarderie am Ziel«, gab Cadfael unumwunden zur Antwort, »sofern Ihr mir eine Weile Gastfreundschaft gewährt, bis ich mit dem Burgherrn gesprochen habe. Mehr habe ich hier nicht zu tun. Ich bin gekommen, um mir bei Philip FitzRobert Gehör zu erbitten, und man hat mir gesagt, daß er sich hier aufhält. Ich stehe zu Euren und seinen Diensten, wann immer es ihm recht ist. Ich werde auf ihn warten, solange es nötig ist.«
»Überbringt Ihr die Botschaft eines anderen?« fragte der Wachhabende mit nur geringer Neugier. »Er ist von Gesprächen mit einigen Bischöfen zurückgekehrt; seid Ihr im Auftrag des Euren hier, um in seinem Namen zu sprechen?«
»In gewisser Weise ja«, räumte Cadfael ein. »Aber auch im eigenen Namen. Wenn Ihr ihm meine Bitte vortragen wollt, wird er Euch zweifellos wissen lassen, wie er dazu steht.«
Neugierig und wachsam umstanden ihn die Männer in einer gewissen Entfernung. Während der Wachhabende in aller Ruhe überlegte, was er von dem Ankömmling zu halten hatte und was er mit ihm tun sollte, umspielte ein leichtes Lächeln den Mund seiner Krieger. Der äußere Burghof war nicht besonders groß, dafür ließ sich aber auf der weiten gerodeten Fläche um die Anlage herum eine heranrückende feindliche Streitmacht vom Wehrgang herab frühzeitig erkennen. Außerdem hatten die Verteidiger von dort aus ein mörderisches Schußfeld für ihre Bogenschützen, über die sie zweifellos in großer Zahl verfügten. Die im Schutz der
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