Bruder Cadfaels Buße
oberen Stockwerke erreicht, der von einer qualmenden Fackel in einem Wandhalter nur schwach erleuchtet wurde. Die schmale Tür, auf die sie zutraten, stand angelehnt. Das Klopfen des Kaplans wurde mit einem kräftigen »Herein!« beantwortet.
Cadfael trat in einen kleinen, karg ausgestatteten Raum, der auf der der Ringmauer abgewandten Seite des Bergfrieds lag. Durch ein schmales hohes Fenster fiel der Blick auf den nächtlichen Himmel, an dem kaum wahrnehmbar Sterne zu sehen waren. Auf einem schweren Tisch nahe dem Fenster, hinter dem Philip in einem breiten Armsessel thronte, brannte eine große abgeschirmte Kerze.
Dunkle Teppiche bedeckten die Wand. Der Burgherr hob den Blick von dem Buch, das aufgeschlagen vor ihm lag.
Es überraschte Cadfael nicht, daß Philip im Unterschied zur Mehrzahl seiner Zeitgenossen lesen konnte; dieser Mann schien jede Fähigkeit zu nutzen, die er besaß.
»Kommt herein, Bruder, und schließt die Tür.«
Philips Stimme klang gelassen. Sein Gesicht, auf dem das Licht der links von ihm stehenden Kerze zuckte, war eine Landschaft aus Helldunkel, mit tiefen Schlagschatten unter den hohen Wangenknochen und um die dunklen nachdenklichen Augen. Wieder mußte Cadfael darüber staunen, wie jung der Mann war - etwa von gleichem Alter wie Olivier, an den ihn etwas Undefinierbares in den gemeißelten Zügen dieses vornehmen Gesichts erinnerte. Forschend richteten sich Philips Augen auf den Besucher.
»Ihr wolltet mir etwas mitteilen, Bruder. Setzt Euch und sagt es frei heraus. Ich höre.«
Einladend wies er auf die mit einem Schaffell bedeckte hölzerne Bank, die rechts von ihm an der Wand stand. Am liebsten wäre Cadfael stehengeblieben, um Philips Blick standzuhalten, doch er gehorchte. Da sich Philip zugleich mit ihm umwandte, lösten sich ihre Blicke nicht voneinander.
»Was ist Euer Begehr?«
»Daß Ihr zwei Männern die Freiheit gebt«, sagte Cadfael, »von denen ich annehme, daß Ihr sie gefangen haltet.«
»Nennt ihre Namen«, erwiderte Philip, »und ich werde Euch sagen, ob Ihr recht habt.«
»Der eine heißt Olivier de Bretagne, und der andere Yves Hugonin.«
»Ja, sie befinden sich beide in meinem Gewahrsam«, antwortete Philip, ohne zu zögern und ohne seinen gleichmütigen Ton zu ändern.
»Hier in Eurer Burg?«
»Ja, hier in meiner Burg. Jetzt aber sagt mir, warum ich sie freigeben soll.«
»Es gibt für einen rechtschaffenen Mann Gründe, meine Bitte ernstzunehmen«, begann Cadfael. »Wie ich Olivier de Bretagne kenne, hat er sich vermutlich geweigert, gleich Euch die Seite zu wechseln, als Ihr dem König Faringdon übergeben habt. Auch andere, die sich Euch nicht anschließen wollten, wurden überwältigt und gefangengesetzt, auf daß diejenigen, denen die Großmut des Königs zusprach, Lösegeld für sie fordern konnten. Das ist allgemein bekannt. Warum aber hat niemand Lösegeld für Olivier de Bretagne verlangt? Warum wurde nicht bekanntgegeben, wer ihn gefangen hält?«
»Jetzt habe ich es Euch gesagt«, erwiderte Philip mit dem Anflug eines Lächelns. »Sprecht weiter.«
»Nun denn! Es stimmt, daß ich Euch bisher nicht gefragt hatte, und Ihr habt es mithin nicht bestritten.
Aber nie wurde, wie bei den anderen, öffentlich gesagt, wo er sich aufhielt. Ist es recht, daß man ihn anders behandelt? Es gibt Menschen, die ihn bereitwillig freikaufen würden.«
»Ganz gleich, um welchen Preis?«
»Nennt ihn, und ich werde dafür sorgen, daß man ihn Euch zahlt.«
Während der langen Pause, die nun eintrat, musterte ihn Philip mit offenem, aber undurchdringlichem Blick, so bewegungslos, daß sich kein Haar auf seinem Kopf rührte. »Vielleicht ein Leben«, sagte er dann leise. »Jemand, der hier an seiner Stelle einsam verfault, wie er verfaulen wird.«
»Nehmt meines«, sagte Cadfael.
Im Spitzbogen des hohen Fensters hatten sich Wolken vor die bleichen Sterne geschoben, und die Mauersteine wirkten jetzt fahler als die Nacht draußen.
»Eures«, erwog Philip kühl Cadfaels Anerbieten. Seine Stimme klang weder fragend noch erstaunt. Lediglich dies eine Wort sagte er sich vor, als wolle er es seinem Gehirn einmeißeln. »Welche Befriedigung würde ich daraus ziehen? Welchen Groll hegte ich gegen Euch, daß ich Gefallen daran finden könnte, Euch zu vernichten?«
»Und welchen Groll hegt Ihr gegen ihn? Welch bitteres Gefallen werdet Ihr daran finden, daß Ihr ihn vernichtet?
Was hat er Euch angetan, außer daß er zu seiner Überzeugung stand, als Ihr die Eure
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