Bruder Cadfaels Buße
weiteren Grund, auch nur eine Stunde länger zu säumen. Es bestand kein Zweifel, wie sein Ziel heißen mußte. Er suchte den Bruder Hospitalmeister auf, verabschiedete sich und ging in den Stallhof, um sein Pferd zu satteln. Noch hatte er nicht darüber nachgedacht, wie er vorgehen wollte, wenn er in Greenhamsted angekommen war. Es gibt mehr als eine Möglichkeit, sich Zutritt zu einer Burg zu verschaffen, und mitunter ist die einfachste die beste, vor allem für einen Mann, der nicht nur den Waffen entsagt, sondern auch Gelübde abgelegt hat, die ihm Gewalttat und Täuschung verbieten. Zwar ist die Wahrheit eine strenge Zuchtmeisterin, und ihr zu dienen hat einen hohen Preis, doch vereinfacht sie auch alle Schwierigkeiten. Selbst wer dem Kloster aus freien Stücken abtrünnig geworden ist, mag es bisweilen ehrenwert finden, Gelübde zu halten, die noch nicht gebrochen worden sind.
Hughs schöner junger Rotschimmel schien sich über den bevorstehenden Aufbruch zu freuen und kam aus dem Stall getänzelt. Das Licht des Nachmittags dämpfte die lebhafte Farbe seines Fells. Von Deerhurst aus ging es nach Süden. Cadfaels Schätzung nach lagen etwa fünfzehn Meilen vor ihm, und sicherlich empfahl es sich, Gloucester in weitem Bogen zu umreiten und rechts liegen zu lassen. Dunkle Wolken zogen am Himmel auf; ein rascher Ritt würde ein Vergnügen sein.
Von den breiten Sumpfwiesen im Tal gelangte er zu den Ausläufern des Hügellandes und in die Nähe der hochgelegenen Dörfer der Schafzüchter, wo die Wollhändler ihre beste Ware fanden. Sogar bis dorthin hatten die einander befehdenden Parteien bereits ihre Schlachten getragen, so daß die Bauern der Umgebung schon darunter hatten leiden müssen. Doch meist ging es bei den Kämpfen lediglich um kleine Ausfälle der Burgbesatzungen, Nadelstiche einer Seite gegen die andere. Bei diesen wechselseitigen Angriffen hatte Faringdon auf der Seite der Kaiserin die Hauptrolle gespielt. Jetzt aber lag die Burg an der Spitze der Kette von König Stephens Festungen und hielt ihm die Verbindungswege zwischen Malmesbury und Oxford offen. Wohl waren die Kampfhandlungen nicht mehr so heftig wie zuvor, doch nach wie vor nicht ungefährlich. Graf Robert Bossu hatte recht mit seiner Ansicht, daß beide Seiten letztlich zu einer Einigung gelangen mußten, da keine von ihnen imstande war, die andere vernichtend zu schlagen.
Cadfael überlegte, ob diese Erkenntnis für jemanden, der das begriffen hatte, ein triftiger Grund sein konnte, sich mit all seinen Mannen und Waffen auf die Gegenseite zu schlagen? Beispielsweise mit der Erwägung im Hintergrund: Jetzt kämpfe ich seit neun Jahren für die Kaiserin und sehe, daß wir einem Sieg, der diesem Land Ordnung und eine vernünftige Regierung bringen könnte, keinen Schritt nähergekommen sind. Wäre vielleicht die andere Seite dazu imstande, wenn ich sie unterstützte, könnte sie dann die Angelegenheit entscheiden und die Waffen aus der Hand legen? Ich bin bereit, alles zu geben, um dieser endlosen Zerstörung ein Ende zu bereiten. Ja, es mochte den Versuch wert scheinen. Doch mußte in einem solchen Fall der Gefolgschaftsgeist entsetzlich ausgehöhlt sein und die völlige Erschöpfung zu dem verzweifelten Ergebnis geführt haben, daß jedes Ende dieser Anarchie besser war als keines — denn was konnte folgen, wenn sich das neue Bündnis als ebenso unfähig, zerstörerisch und ergebnislos erwies wie das vorige? Nur die völlige Abscheu vor beiden Parteien und der Entschluß, sich von ihnen zurückzuziehen, um die letzten verbliebenen Kräfte für eine Sache einzusetzen, die der Mühe wert war.
Die Straße, auf der Cadfael jetzt ritt, verlief über eine Hochebene und erstreckte sich pfeilgerade vor ihm in die Ferne. Der Wollhandel hatte die wenigen Dörfer reich gemacht, die dort weit verstreut und abseits lagen. Er mußte die Straße verlassen, um ein Haus zu finden, wo er nach dem Weg fragen konnte. Der Kätner, der in die Tür trat, um ihn zu begrüßen, warf ihm einen mißtrauischen Blick zu, als er sich nach der Burg La Musarderie erkundigte.
»Ihr seid nicht aus dieser Gegend, Bruder? Wahrscheinlich wißt Ihr dann auch nicht, daß die Burg in andere Hände gefallen ist. Sofern Ihr mit jemandem von der Familie Musard sprechen wollt, werdet Ihr dort niemanden finden. Man hat vor mehreren Wochen oder Monaten bereits Robert Musard in einen Hinterhalt gelockt und gezwungen, seine Burg an den jüngeren Sohn des Grafen von Gloucester
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