Bruder Cadfaels Buße
Kapelle lag in der Mitte des Bergfrieds, und es erstaunte Cadfael ein wenig, daß man ihn unbewacht und ungeleitet dorthin gehen ließ. Nicht nur zögerte die Besatzung von Philips Burg nicht im geringsten, dem Mönch Zutritt zu ihrer wichtigsten Verteidigungsanlage zu gewähren, man hatte ihn sogar im Bergfried selbst untergebracht. Dies weitgehende Vertrauen konnte sich nur auf Ehrfurcht vor seiner Kutte und auf die Annahme gründen, daß man es mit einem rechtschaffenen Mann zu tun hatte. Das veranlaßte ihn, ein wenig über seine Beweggründe und seine Vorgehensweise nachzudenken.
Als Ergebnis fühlte er sich in seiner Ansicht bestärkt, daß es am besten war, in gerader Linie auf sein Ziel zuzugehen. Es gab keinen anderen Weg, ob er nun zum Erfolg oder zum Untergang führen mochte.
Auf den kalten Steinen der Kapelle kniete er vor dem schlicht geschmückten und nur von einem still brennenden Ewigen Licht erhellten Altar und verrichtete seine verspätete Andacht. Das Gewölbe über ihm verschwand in der Dunkelheit, die Kälte des Raumes kroch in seine Glieder. Unwillkürlich wandten sich seine Gedanken dem Bevorstehenden zu. Lieber Gott, wie soll ich vorgehen? Wie kann ich etwas bei einem solchen Mann erreichen, der sich des einen Gewandes entledigt hat, womit er der Verdammung anheimgefallen ist, und der seine Blöße nunmehr mit einem anderen bedeckt, das seine Wunden lediglich verbirgt, aber nicht heilt? Ich vermag diesen Philip nicht zu durchschauen.
Gerade als er sich wieder erhob, hörte er das ferne Stakkato von Hufgeklapper auf den Pflastersteinen des äußeren Burghofs. Es war ein einzelnes Pferd; ein einzelner Reiter wie er es gewesen war. Einer der keine Furcht hatte, allein eine Burg zu verlassen oder in sie einzureiten, und das in einem Gebiet, in dem eine Burg eine verlockende Beute war, die man einnahm, sobald sich eine Gelegenheit dazu bot, oder auch ein Gefängnis sein konnte, das man um jeden Preis mied. Nach einer Weile hörte Cadfael, wie das Pferd weggeführt wurde, vermutlich zu den Stallungen, die am inneren Burghof lagen. Es ging mit leichtem Schritt über die Steine, dann verhallten die Hufschläge. Er verließ die Kapelle und trat aus der Pforte des Bergfrieds, in deren Nähe die Wachräume lagen. Bleich hing die Abenddämmerung zwischen den schwarzen Türpfosten. Als er hinaustrat, wo es noch vergleichsweise hell war, sah er Philip FitzRobert, der wohl gerade von seinem Reittier abgestiegen war und über den Hof dem Rittersaal entgegenschritt. Noch im Gehen warf er sich den Umhang über den Arm. Die beiden Männer blieben im Abstand von zwei oder drei Schritt voreinander stehen und sahen einander an.
Der Abendwind hatte Philips dunkles Haar zerzaust, denn er war barhäuptig geritten. Kurze Strähnen waren ihm in die hohe Stirn gefallen, die er nun runzelte, als er Cadfael musterte. Er war in schlichtes Schwarz gekleidet, ohne Schmuck oder Putz. Seine Zierde war die Art seiner Haltung. Ob er sich bewegte oder stillstand, stets wirkte er elegant und angespannt wie ein schußbereiter Bogen.
»Man hat mir gesagt, daß ich einen Gast habe«, begann Philip und zog die dunkelbraunen Augen zu Schlitzen zusammen. »Ich meine Euch schon einmal gesehen zu haben, Bruder.«
»Ich war in Coventry«, erklärte Cadfael, »einer von vielen. Da wäre es nur natürlich, wenn Ihr Euch nicht an mich erinnern könntet.«
Ein kurzes Schweigen trat ein. Keiner der beiden rührte sich. »Ich weiß es wieder«, sagte Philip schließlich, »Ihr wart auch dabei, als wir de Soulis tot auffanden. Ihr wart ganz nah, habt aber nichts gesagt.«
»Ja«, sagte Cadfael.
»Und jetzt kommt Ihr, um mit mir zu reden, hat man mir berichtet. In wessen Auftrag?«
»Im Auftrag der Gerechtigkeit und der Wahrheit«, antwortete Cadfael. »Zumindest sehe ich es so. Im eigenen Auftrag und im Auftrag einiger, die ich vertrete. Letztlich vielleicht auch, Herr, in Eurem eigenen Auftrag.«
Eine Weile musterte ihn Philip. Er hatte die Augen zusammengekniffen, um ihn im abnehmenden Licht besser sehen zu können, schien aber an seinen kühnen Worten nichts auszusetzen zu haben.
»Nach dem Abendessen habe ich Zeit, Euch anzuhören«, sagte Philip schließlich. Nicht einmal Neugier schwang in seiner gleichmäßig klingenden Stimme mit.
»Kommt zu mir, wenn ich den Rittersaal verlassen habe.
Jeder meiner Männer kann Euch zeigen, wo Ihr mich findet. Sofern es Euer Wunsch ist, könnt Ihr meinem Kaplan bei der Komplet zur Hand gehen.
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