Bruder Cadfaels Buße
aufgabt? Oder als er Euer Verhalten so deutete, als hättet Ihr sie aufgegeben«, korrigierte er sich mannhaft. »Ich sage Euch frei heraus - Euer Tun ist mir unverständlich, und er würde, wie ich sicher weiß, nicht nur einmal, sondern zwei—, dreimal und noch öfter hinsehen, bevor er ein Urteil fällte.«
Nein, Erklärungen waren wohl sinnlos. Vermutlich war Oliviers offenkundige Verachtung Kränkung genug gewesen, ebenso unübersehbar wie Philips maßloser Stolz, der ihn zu hemmungslosen Vorwürfen hinriß, als spräche sein eigenes Spiegelbild gegen ihn. Vielleicht hatte Philip diese tödliche Wunde ausschließlich damit vor sich selbst verbergen können, daß er den Ankläger aus dem Weg schaffte, an einen Ort, wo ihn niemand sah und man sich seiner nicht zu erinnern brauchte.
»Ihr habt große Stücke auf ihn gehalten!« sagte Cadfael aufs Geratewohl, denn ihm war eine Erleuchtung gekommen.
»Das stimmt«, bestätigte Philip. »Es ist nichts Neues, daß jemand, auf den ich besonders große Stücke hielt, mich verleugnet und gering schätzt, und es geschieht nicht zum ersten Mal. Aber wer so handelt, hat sich in mir verrechnet. Auch wenn es eine Weile dauert, bis man sich von ihnen allen gelöst hat und seinen Weg allein zu Ende geht. Doch sagt mir, welchen Grund hättet Ihr, mir anzubieten, daß Eure alten Knochen hier an Oliviers Stelle verfaulen? Was bedeutet er Euch?«
»Er ist mein Sohn«, erwiderte Cadfael.
Während des ausgedehnten, tiefen Schweigens, das darauf folgte, entließ Philip den angehaltenen Atem mit einem langen, leisen Seufzer. Die zwischen ihnen angeschlagene Saite ließ eine Fülle von Tönen erklingen, die in beklemmender Weise nachhallten. Immerhin standen Philip und sein Vater Robert einander unversöhnlich in gegenseitiger Zurückweisung gegenüber. Außerdem gab es da noch den älteren Bruder William, den künftigen Erben. Hatte der Bruch damit begonnen, daß jener dem Vater stets nahe gewesen war, stets geliebt und gelobt wurde, während man über den jüngeren meist hinweggegangen war und seine Bedürfnisse und Wünsche so beiläufig abgetan hatte wie seine Bitten, Faringdon zu helfen? Das konnte Philips leidenschaftlichen Zorn unter Umständen zum Teil erklären, aber keinesfalls vollständig. So einfach war es nicht.
»Schuldet ein Vater seinem Sohn so viel Rücksicht und Anteilnahme?« fragte er trocken. »Glaubt Ihr, meiner würde auch nur einen Finger rühren, um mich aus einem Gefängnis zu befreien?«
»Ich denke schon«, entgegnete Cadfael standhaft.
»Und Ihr denkt das gewiß ebenfalls. Doch bedürft Ihr keiner Hilfe, wohl aber Olivier. Überdies hat er Besseres von Euch verdient.«
»Ihr begeht den gleichen Denkfehler wie alle anderen«, sagte Philip unbeteiligt. »Nicht ich habe ihn im Stich gelassen, sondern er mich. Ich habe seine Ansichten akzeptiert. Welche Möglichkeit bleibt aber angesichts einer so großen Entschlossenheit auf der einen Seite, wenn jemand diese widerwärtige Vergeudung von Menschenleben beenden möchte, als sein ganzes Gewicht in die andere Waagschale zu werfen? Und was, wenn sich auch das als unwirksam und ebenso bittere Enttäuschung erwiese wie alle anderen Versuche? Wieviel kann dies arme Land noch ertragen?«
Er sagte fast das gleiche wie der Graf von Leicester, doch bediente er sich zum Erreichen seines Ziels gänzlich anderer Mittel. Robert Bossu war bemüht, die klügsten und gemäßigtsten Köpfe auf beiden Seiten an einen Tisch zu bringen, damit diese einen Verständigungsfrieden herbeiführten. Philip dagegen sah die einzige Möglichkeit, den Streit zu beenden, im endgültigen Sieg einer Seite über die andere. Dabei war es ihm nach acht Jahren des sinn- und ergebnislosen Kampfes offenbar ziemlich gleich, welche Seite gewann, wenn es nur in England wieder zu einer Art von Recht und Normalität kam. Ebenso wie jetzt Philip würde man eines Tages Robert Bossu als Verräter und Abtrünnigen bezeichnen, sofern er sich dem weiteren Kampf verweigerte, um auf diese Weise den König zum Einlenken zu zwingen. Dennoch war es denkbar, daß er und seinesgleichen sich eines Tages als Retter dieses gequälten Landes erwiesen.
»Ihr sprecht vom König und der Kaiserin«, sagte Cadfael, »und ich verstehe besser als zuvor, was Ihr sagt. Aber ich spreche von meinem Sohn Olivier. Ich bin bereit, für ihn den Preis zu zahlen, den Ihr gefordert habt. Wenn es Euch ernst damit war, nehmt ihn an. Was ich auch sonst von Euch denken mag, kann ich
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