Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)
schönste Park, die besten Restaurants, die beste Grüne Soße, die mieseste, aber lustigste Trinkhalle, die zum Rausschauen aufregendste Straßenbahnlinie, das schönste Hochhaus und so weiter, bis irgendwann zum schönsten Platz am Mainufer, und das war nach ungefähr je acht Bier, na klar, genau der, an dem wir uns gerade befanden. Wir hätten uns wahrscheinlich auch ohne Bier auf den Steg vom ›Mister Happy‹ einigen können, aber vermutlich nicht so überschwenglich.
Als wir dann irgendwann noch anfingen, aus Spaß und zum Beweis unseres Heimischseins hessischen Dialekt zu sprechen und liebevoll zu verspotten, dachte ich kurz, dass der Türke und der Rumäne sich ihrer Zugehörigkeit vielleicht doch nicht so sicher waren, wie sie glaubten. Jedenfalls kannte ich keinen Frankfurter Hans-Jörg, der so euphorisch und kindlich stolz den Ort bejubelt hätte, den ihm seit seiner Geburt kein Meldeamt, kein Stammtisch oder Wahlkampf je streitig gemacht hatte.
»Octavian?«
»Kemal. Um was geht’s?« Kühl, professionell, zack, zack. Dabei hatten wir uns seit Monaten nicht gesprochen. Wenn Octavian keine soundsoviele Biere intus hatte, glich seine Umgangsart sehr seinem Aussehen. Wahrscheinlich war darum aus unserer Bekanntschaft nie Freundschaft geworden.
»Ich hab was für dich: Zuhälterei, Kindesmissbrauch, Vergewaltigung, Drogen, Mord…«
»Moment, ich nehm mir Stift und Papier.«
Bei »Mord« dachte ich kurz an Valerie de Chavannes. Womit sie mich wohl hätte bezahlen wollen? Oder war ihr Gerede von ihrer Geldknappheit doch nur Flunkerei gewesen, um mein Honorar zu drücken? Oder hatte sie etwa geglaubt, für ein verschärftes In-den-Arm-nehmen oder für einen Satz Leinwände »Die Blinden von Babylon«? Ob sie sich irgendwo schlaugemacht hatte, wie viel ein Auftragsmord kostete?
»Okay, erzähl.«
»Zuhälter und Kunde liegen in einer Wohnung in der Schifferstraße in Sachsenhausen. An der Ecke gibt’s das Café Klaudia, die Wohnung ist oben drüber im dritten Stock. Der Kunde ist tot, ermordet, der Zuhälter ist verschnürt und angekettet.«
»Hast du ihn verschnürt?«
»Ja. Sein Name ist Abakay. Er vermittelt Minderjährige, im Computer findest du sämtliche Details. Du musst nach ›Herbstblüten‹ suchen. Ich habe eins der Mädchen dort rausgeholt. Sie ist die Tochter meiner Klientin, und ich hoffe, ich habe sämtliche Hinweise auf sie vom Computer gelöscht. Sie steht als Zeugin nicht zur Verfügung, aber du wirst genug andere Mädchen finden.«
»Wer ist der Mörder?«
Ich zögerte kurz. »Als ich in die Wohnung kam, war der Kunde tot, ein schmaler Stich ins Herz, und Abakay stand mit blutender Brust über ihm. Der Tote hielt noch ein Küchenmesser in der Hand. Ich nehme an, es ging um Geld. Allerdings habe ich keine Mordwaffe gefunden.«
»Was ist mit dem Messer?«
»Zu breit. Wirst sehen, es ist ein Stich wie von einer Stricknadel.«
»Stehst du als Zeuge zur Verfügung?«
»Wenn ich den Namen meiner Klientin nicht nennen muss.«
Octavian machte eine Pause, die ich bemerken sollte. »Eine Stricknadel«, sagte er dann, »So stellt man sich eine Mädchenwaffe vor. Du schützt hoffentlich keine Mörderin.«
»Unsinn«, erwiderte ich, dachte aber im selben Moment: Interessant. Doch so kaltblütig konnte Marieke kaum sein: mich die Treppe hochkommen hören, ins Schlafzimmer sausen, Finger in den Hals… Trotzdem wäre ich nun gerne noch mal kurz in Abakays Wohnung gegangen, um zur Sicherheit unterm Bett nach einer Nadel oder einem Schaschlikspieß zu suchen.
»Gut. Dann fahr ich jetzt mal hin.«
»Das Heroin ist in der Küche unter den Bratpfannen.«
»Na, du musst die Wohnung ja gründlich umgekrempelt haben…«
»Genau das habe ich. Bis bald, Octavian. Wenn’s noch Fragen gibt, ruf mich an.«
Ich klappte das Handy zu, trank meinen Espresso und sah auf die Uhr. Es war kurz nach zwei. Die Polizei würde einige Stunden brauchen, bis sie in Abakays Wohnung fertig wäre, so lange wollte ich mich dort nicht blicken lassen. Obwohl ich Octavian gesagt hatte, ich stünde als Zeuge zur Verfügung, war ich mir dessen nicht sicher. Abakay kannte aller Wahrscheinlichkeit nach Leute, die einem gegnerischen Zeugen sehr unangenehm auf die Pelle rücken konnten, und auf so was hatte ich keine Lust mehr. Überhaupt war ich, seit damals mein Büro in die Luft geflogen war, vorsichtiger geworden, und nun teilte ich mir eine Vierzimmerwohnung im Westend mit einer Frau, die sich ein Kind von mir
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