Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)
offenbar gefiel: »Er ist Privatdetektiv – ehrlich wahr!« Dann grinste sie, als sei das total abgedreht.
»Also doch von der Polizei. Sie haben uns doch wegen dem Typ da oben schon den ganzen Tag befragt.« Auch daran, dass er Polizisten nicht mochte, ließ er keinen Zweifel.
Ich sah Hanna auf eine Art an, die ihr bedeuten sollte, die Klappe zu halten. »Wie gesagt: Privatdetektiv, nicht Polizist. Und ich weiß nicht, welchen Typ da oben Sie meinen. Ich würde einfach nur gerne wissen, ob Ihnen heute Mittag ein Schaschlikspieß gefehlt hat.«
»Warum?«
»Weil so ein Spieß vorhin in meinem Autoreifen gesteckt hat und ich einen rassistischen Nachbarn habe, der mir öfter mal solche Streiche spielt, und zufällig habe ich erfahren, dass er heute bei Ihnen zu Mittag gegessen hat. Ich möchte ihn nicht ins Gefängnis bringen, ich würde ihm nur gerne so eine Sache mal nachweisen, damit er damit aufhört.«
»Rassistischer Nachbar«, wiederholte der Kellner und betrachtete mich genauer.
»Er ist Türke«, erklärte Hanna, und ich fragte mich, ob meine Tochter das auch so sagen würde.
Mit deutlich freundlicherer Stimme sagte der Kellner: »Ja okay, heute Mittag hat so ein Spieß gefehlt, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das Ihr rassistischer Nachbar war.« Er grinste ein bisschen unsicher.
»Warum? Sieht man das den Leuten an?«
»Nein, Quatsch.« Er zögerte. »Es war einfach ein netter Typ. Hat auch viel Trinkgeld gelassen – wenn der Ihren Reifen hätte aufstechen wollen, der hätte sich das Besteck dafür nicht im Restaurant geklaut, da bin ich sicher.«
»Können Sie ihn beschreiben?«
Der Kellner sah mich einen Augenblick an. Er mag halt keine Polizisten, dachte ich.
»Na ja, wie gesagt, netter Typ. Älter, so um die fünfzig, ich kann das nie so genau einschätzen, gemütliche Klamotten – wie ’n Professor oder wie ’n netter Lehrer. »
»Gibt’s das?«, fragte Hanna keck, und der Kellner lächelte ihr zu. Dann fuhr er fort: »Außerdem, Mann, wir haben mittags so viele Gäste, da merk ich mir nicht jeden genau, schon gar nicht wegen ’nem scheiß Spieß für fünfzig Cent.«
»Darf ich Sie um etwas bitten?« Ich zog eine meiner Visitenkarten aus der Jackentasche. »Wenn Sie ihn noch mal sehen, rufen Sie mich an?«
Er nahm die Karte und warf einen misstrauischen Blick drauf. »Ich denke, es geht um Ihren Nachbarn? Den können Sie doch jeden Tag treffen? Und wie gesagt: Der Typ, den ich meine, der zersticht keine Reifen von ’nem Türken.«
»Vielleicht irren Sie sich. Wir waren uns ja schon einig, dass man so was den Leuten nicht ansieht. Ich würde meinen Nachbarn jedenfalls gerne in Ihrem Café mit dem Schaschlikspieß konfrontieren, der in meinem Reifen steckte. Natürlich wird er nichts zugeben, aber vielleicht jagt ihm das einen kleinen Schrecken ein, und er lässt mich für eine Weile in Ruhe.«
Dann griff ich erneut in die Jackentasche und bezahlte unsere Rechnung über dreizehn Euro achtzig mit einem Fünfzig-Euro-Schein. »Der Rest ist für Sie, damit Sie nicht vergessen, mich anzurufen.«
Er nahm erstaunt den Schein entgegen und schaute noch mal auf die Visitenkarte. »Muss Ihnen ja ganz schön wichtig sein, der Scheiß mit Ihrem Nachbarn.«
»Wissen Sie, wie viel ein Autoreifen kostet?«
Er nickte. »Okay, ich ruf Sie an. Aber wie gesagt, ich glaub nicht…«
»Egal. Rufen Sie mich einfach nur an.«
Als wir vom Tisch aufgestanden waren, sagte Hanna mit einem unverschämt langen Blick »tschüss«, und dem ungefähr sechs Jahre älteren Kellner blieb für einen Augenblick der Mund offen. Unverschämt, aber völlig unschuldig. Ich dachte an Marieke und Valerie de Chavannes, und plötzlich verstand ich, dass man ein altes, berechnendes Schwein, das diese Mischung aus Unverschämtheit und Unschuld bei der eigenen Tochter auszunutzen wusste, umbringen lassen wollte.
Während wir mein Fahrrad in den Kofferraum luden, sagte ich: »Hey, wie wär’s: Wir rufen deine Mama an und fragen, ob ich dich zum Kino einladen darf? Es gibt einen neuen Leo DiCaprio.«
»Au ja, gerne. Ich hab morgen auch erst später Schule.«
8
Drei Tage darauf rief mich Octavian an und erzählte, dass Abakay alles leugne. Sein Freund Volker Rönnthaler sei zu Besuch gewesen, er, Abakay, habe die Wohnung kurz verlassen, um Zigaretten zu kaufen, bei seiner Rückkehr habe Rönnthaler tot am Boden gelegen, und ein Mann südländischen Aussehens sei ohne Vorwarnung auf ihn losgegangen, habe ihn
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