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Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)

Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)

Titel: Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Arjouni
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Schnitte von dem Mann zugefügt worden seien, der ihn überfallen hat.«
    »Ich habe ihn nicht überfallen, sondern dabei überrascht, wie er sich über einen gerade Ermordeten beugte, und daraufhin – wie es wohl die Pflicht jedes verantwortungsvollen, ausreichend kräftigen Bürgers ist – überwältigt und gefesselt, damit die Polizei die Möglichkeit hat, ein Verbrechen aufzuklären. Weil ich dachte, dazu sei die Polizei da…«
    »Ist gut, Kemal.«
    »Aber wenn du lieber Abakay glauben möchtest! Warum, verdammt noch mal, sollte ich ihm die Brust zerschnibbeln?«
    »Na ja, zum Beispiel, falls du es so aussehen lassen wolltest, als hätte zwischen Rönnthaler und Abakay ein Kampf stattgefunden.«
    »Aus welchem Grund?«
    »Ich hab’s schon mal gesagt: Weil du eine Verdächtige schützen möchtest.«
    »So ein Unsinn. Als ich in die Wohnung kam, hatte Abakay seine Wunden schon, und ich habe ihn nur noch gefesselt und geknebelt.«
    »Und brutal in die Eier getreten?«
    »Was denn noch alles? Hab ich ihm vielleicht auch die Kindheit verdorben?«
    »Ich bereite dich nur darauf vor, was Abakay dir anlasten wird. Ich sag den Kollegen also, dass wir den Mann haben, der uns Abakay hingelegt hat?«
    »Den Zeugen, Octavian! Ihr habt den Mann, der bezeugen kann, dass Abakay ein gewalttätiger Zuhälter ist, minderjährige Mädchen mit Heroin vollpumpt und auf den Strich schickt.«
    »Ohne die Namen deiner Klientin und ihrer Tochter zu nennen?«
    »Jedenfalls versuche ich, beide so lange wie möglich rauszuhalten.«
    »Bevor das irgendwann vielleicht nicht mehr geht, solltest du ihnen fairerweise von Scheich Hakim erzählen. Ich kenne eine Menge Leute, die eine heile Haut der Bestrafung eines Verbrechers vorziehen.«
    »Guter Satz für einen Polizisten.«
    Octavian seufzte. »Ach, leck mich am Arsch, Kemal. Ich melde mich dann bei dir.« Und legte auf.
    Ich hielt den Hörer noch eine Weile in der Hand und fragte mich, ob ich mich gerade besonders klug verhalten hatte. Um mich notfalls aus der Affäre ziehen zu können, war es an der Zeit, Rönnthalers Mörder zu finden. Bisher hatte ich nicht mehr als eine Ahnung.
    Dann suchte ich im Internet nach Scheich Hakim.
    Ich erfuhr nichts Neues. Ein Verrückter, wie Octavian gemeint hatte. Allerdings hielt ich jeden Grad von Religiosität für verrückt. Oder wie Slibulsky sagte, der eine Eissalonkette führte und seit kurzem mit einer zwanzig Jahre jüngeren Frau zusammen war, die sich gleichermaßen von Jesus wie von der Kabbala inspirieren ließ: »Es ist, als ob sie in einen Laden geht, der nur aus Luft besteht, sieben Kugeln Vanille bestellt, die auch nur aus Luft bestehen – sieben, weil das Glück bringt –, und einem Verkäufer zulächelt, der ihr grimmig erklärt, das Eis kriege sie dann später, wenn ihr hübscher Körper in der Erde verfault sei. Nicht aus Luft sind die fünf Euro, die sie fürs Eis bezahlt, und die Brieftasche des Verkäufers.«
    Ob Hakim wirklich so gefährlich war, wie Octavian behauptet hatte, ging aus den Internettexten nicht hervor. Auf Fotos sah der Scheich aus wie ein alter Mann, der sich seine Kleider unten bei mir im Secondhandladen kaufte und viel Zeit damit verbrachte, mit anderen alten Männern rauchend auf der Straße rumzustehen. Seine Ansichten waren, soviel ich las, für jemanden mit seinem Hintergrund nichts Außergewöhnliches. In einem Interview mit der Online-Zeitung Euro Islam, in dem er unter dem Titel »Gott und die Welt« zu allem Möglichen befragt wurde, äußerte er sich zu den Themen Terror, Selbstmordattentate, heiliger Krieg, Islamismus und so weiter mit dem üblichen »furchtbar, aber…«. Man müsse die Verhältnisse sehen, den historischen Hintergrund, die jahrzehntelange Unterstützung krimineller Despoten durch den Westen, das Gefühl der Erniedrigung, das sich nun in Wut verwandle, gerade bei jungen Leuten, und natürlich Israel. Ohne Israel lief bei den meisten Nahostbetrachtungen ja wenig.
    Ich hatte Deborah mal, während wir Nachrichten zu dem Thema guckten, vorgeschlagen, uns auch ein Israel anzuschaffen. Am Nachmittag hatten wir gestritten – angefangen hatte es mit der unaufgeräumten Wohnung oder einer ihrer Freundinnen, die mir auf die Nerven ging, oder Deborahs Arbeitswut, ich konnte mich noch während des Streits nicht mehr erinnern, und geendet hatte es wie so oft mit »asozialem Kayankaya« und »ehrgeiziger Deborah, die es dauernd der ganzen Welt beweisen muss« (dass sie es aus Henningsbostel und

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