Bruderdienst: Roman (German Edition)
da sind. Ich gab mich zufrieden damit, ich war so ein Narr.«
»Wie ging es weiter, Kim? Erzähl mir einfach die ganze Geschichte.« Er dachte nervös: Hoffentlich flippt er mir nicht aus, vielleicht ist das alles zu viel für ihn.
»Zwei Jahre später wunderte ich mich dann, dass meine Frau nicht wieder zu arbeiten begann. Normalerweise können unsere Frauen ein Jahr Pause machen, wenn ein Kind kommt, aber zwei Jahre werden nur selten gewährt. Sie antwortete, sie brauche nicht mehr zu arbeiten. Es gebe jemanden, der dafür sorge, dass sie nicht mehr arbeiten müsse. Nie mehr. Dann entdeckte ich durch einen Zufall, dass meine Frau, wenn ich morgens aus dem Haus ging, ebenfalls unsere Wohnung verließ. Ich ging ihr nach, aber ich konnte sie an einer bestimmten Stelle nicht weiter verfolgen, weil sie in das Viertel der Reichen und Diplomaten ging. Da hatte ich keinen Zutritt. Es gab Streit, furchtbaren Streit. Ich habe sie sogar einmal geschlagen. Und es gab andere Probleme, weißt du. Ich konnte nicht mehr mit ihr schlafen. Ich wurde buchstäblich impotent. Aber dann kam mein Bruder und sagte mir, er sei der Mann, mit dem meine Frau tagsüber lebe. Ich solle gefälligst den Mund halten, schließlich ginge es mir ja nicht schlecht. Er sagte, ich wäre der geborene Verlierer, und meine Frau würde mich schon lange verachten. Und sie würde jetzt auch des Nachts nicht mehr heimkommen, denn er, mein Bruder, sei eben der Bessere, immer schon der Bessere von uns beiden gewesen.«
Kim begann ganz unvermittelt zu weinen. Er weinte laut und hemmungslos, und Müller schwieg, weil dazu wenig zu sagen war, und weil sein Trost diesen Mann kaum erreichen konnte.
Müllers Handy klingelte, und Krause meldete sich: »Wir brauchen Sie hier. Wir haben einen Telefontermin mit Mister Ben Wadi um neunzehn Uhr. Den sollten wir zusammen wahrnehmen. Kriegen Sie das hin?«
»Kim spricht gerade über seinen Bruder. Ich breche nur ungern ab.«
»Ich schicke Svenja, wenn das recht ist.«
»Natürlich, ja.«
»Kim, mein Alter, ich verstehe dich jetzt. Vermutlich waren die Schweinereien mit dem Examen und mit deiner Frau nicht die einzigen Gemeinheiten, oder?«
»Nein, er hat sich noch eine Menge Schikanen geleistet. Aber du sagst, wir haben nicht mehr viel Zeit, also erzähle ich dir nur das Wichtigste.«
»Hast du deine Tochter dann allein erzogen?«
»Nein, das konnte ich nicht. Ich musste arbeiten, ich musste sehr viel arbeiten. Meine Tochter, sie heißt Chang, kam in ein Heim, ich konnte sie nur am Sonntag sehen. In Nordkorea sind die Kinder die Kinder des ganzen Volkes, verstehst du?«
»Und deine Frau? Kümmerte die sich nicht mehr um Chang?«
»Nein. Sie kam sehr selten in das Heim, manchmal ein, zwei Monate lang nicht. Und gelegentlich kam sie sogar zu mir. Ich hatte inzwischen eine ganz kleine Wohnung im selben Block. Ich weiß nicht, warum sie überhaupt kam. Sie erzählte mir, dass sie ein Leben in Luxus führe, dass es sogar Kaviar gebe, dass sie wunderschöne Kleider habe und dass sehr viele einflussreiche Leute zu ihnen kämen. Sie veranstalteten Partys, sagte sie, rauschende Feste mit sehr vielen Botschaftern und ausländischen Gästen. Und mein Bruder sei ein wunderbarer, starker Mann. Und jede Nacht verlange er nach ihr. Aber passieren könne nichts, weil er ihr Verhütungspillen besorgt habe. In Frankreich. Weißt du, diese Erzählungen waren irgendwie pervers, als ob sie sich selbst bestätigen wollte, dass sie richtig lebte, indem sie mir davon erzählte. Ich dachte: Diese Frau ist ganz arm dran! Und dann entdeckte ich, dass mein Bruder …«
»Moment, entschuldige bitte, mein Handy. Ja, hallo.«
»Bingo«, sagte Esser. »Dieses Konto existiert tatsächlich. Es sind vierzigtausend gute amerikanische Mäuse darauf und ein paar Cent Zinsen.«
»Danke!«, sagte Müller erleichtert.
»Kim, wir haben es überprüft. Du hast tatsächlich ein Konto mit vierzigtausend Dollar in Schanghai. Ich frage mich aber, warum er das gemacht hat. Er hätte das gar nicht tun müssen. Er hätte es doch einfach nur behaupten können, und du wärst dann in der Bank in Schanghai ins Leere gelaufen. Du hättest ja sowieso nie mehr zurückkehren können. Warum also hat er Geld auf das Konto eingezahlt? Egal. Du wolltest gerade sagen, dass du irgendetwas bei deinem Bruder entdeckt hast.«
»Ja. Ich entdeckte, dass mein Bruder verheiratet war. Meine Frau war seine Geliebte, mehr nicht. Und er hatte ihr eine Wohnung im Nobelviertel
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