Bruderdienst: Roman (German Edition)
Rasierwasser und eine billige Armbanduhr erstanden.
Während Kim die Tüten auspackte und die Lebensmittel im Kühlschrank verstaute, fragte er ganz unvermittelt: »Was glaubst du, wann werden sie anfangen, mich auszufragen?«
»Ich nehme an, sobald wir im Bundesnachrichtendienst eintreffen. Du bist sehr wichtig für sie, du bist ihr einziger Zeuge, was deinen Bruder betrifft.«
»Und wenn ich schweige, schlagen sie mich.«
»Sie werden dich nicht schlagen. Sie werden darauf hoffen, dass du ihnen von deinem Bruder erzählst, aber sie werden dich nicht schlagen. Sie schlagen dich unter keinen Umständen.«
»Aber sie haben uns gesagt, dass ausländische Geheimdienste immer schlagen.«
»Verdammt noch mal! Sie haben gelogen, Kim!«
»Ist ja gut.«
Der Vormittag im Gardeschützenweg endete mit einem vorläufigen Eklat.
Krause saß mit Esser, Sowinski und Müller zusammen, um ein schnelles Fazit der Reise nach Seoul zu ziehen. Die Stimmung war ruhig und gelassen, es gab keinen Anlass, übermütig zu sein oder gar zu glauben, das Ziel schon greifbar zu haben.
Müller hatte Kim zu den Vernehmungsspezialisten gebracht und sie ausdrücklich gebeten, Kim sehr vorsichtig zu behandeln. Er hatte tatsächlich das Wort liebevoll benutzt, und der leitende Beamte hatte ihn erstaunt, ja beinahe fassungslos angesehen. Müller war sogar noch weiter gegangen, er hatte gebeten: »Wenn es Unsicherheiten gibt, wenn er dichtmacht, dann holen Sie mich bitte einfach dazu.«
Zu diesem Zeitpunkt war von einem erholten Kim schon keine Rede mehr. Als er das kahle Zimmer und den großen, ovalen Tisch mit den vielen Aufnahmegeräten gesehen hatte, hatte er zu zittern begonnen und Müller unsicher und flehend angeschaut.
»Du wirst das schaffen!« Müller hatte versucht, ihn aufzumuntern, und sich dabei selbst elend gefühlt.
Jetzt saßen sie in Krauses Zimmer, tranken Kaffee und Wasser, und überlegten, welche Rolle Kim in dieser Sache spielen könnte, als die Krise ihren Lauf nahm.
Das Sekretariat meldete sich: »Entschuldigung. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Teams in Raum zwo?«
»Natürlich«, antwortete Krause.
»Bergmann hier. Der zu Vernehmende äußert sich nicht. Er schweigt die ganze Zeit.«
»Oh, Scheiße!«, seufzte Müller.
»Dann kommen Sie eben her«, entschied Krause und fragte Müller: »Was hat er denn?«
»Angst«, sagte Müller tonlos.
Der Vernehmungsspezialist kam herein, baute sich demonstrativ vor ihnen auf und sagte: »So geht das einfach nicht.« Er war ungefähr vierzig Jahre alt, und seine Stimme war schrill vor Erregung.
»Wo liegt das Problem?«, fragte Krause freundlich.
»Er hat bisher einen einzigen Satz gesagt: Ich spreche nur mit Charlie!«
Eine Weile herrschte Schweigen, Esser blickte ergeben zur Zimmerdecke, Sowinski betrachtete eingehend seine Fingernägel.
»Was ist denn dagegen zu sagen?«, fragte Krause gefährlich ruhig. »Ich meine, der Mann ist doch nicht der Erste, der zunächst einmal schweigt.«
»Wir gehen davon aus, dass der Mann auf unsere Befragung vorbereitet wurde. Das steht so in den Verfahrensregeln. Aber dieser Mann reagiert überhaupt nicht, er will uns nicht einmal seine Geburtsdaten nennen.«
»Sie haben einen koreanisch sprechenden Dolmetscher dabei?«, fragte Krause knapp.
»Selbstverständlich!«, sagte der aufgebrachte Beamte. »Das ist Vorschrift.«
»Wie viele Leute sind denn zugegen?«, fragte Krause schnell.
»Vier, außer dem Mann.«
»Verdammt!«, fluchte Müller. »Ich habe gesagt, Sie sollen mit viel Fingerspitzengefühl darangehen.«
»Fingerspitzengefühl nützt überhaupt nichts, wenn er schweigt«, giftete der Mann zurück. Er war klein und schmal und trug einen Dreitagebart. Und er war nervös. Seine Hände bewegten sich unablässig, er beugte seine Knie leicht nach vorn und straffte sie dann wieder, er war ständig in Bewegung.
»Wir haben aber keine Zeit«, sagte Krause leise und starrte aus dem Fenster.
Müller stand auf und sah dem Vernehmungsspezialisten in die Augen: »Der Mann kommt aus Nordkorea, ich habe ihn aus dem Meer gefischt. Er hat eine panische Angst vor Vernehmungen, denn er kommt direkt aus dem letzten stalinistischen Staat. Er hat vermutlich Angst vor jedem Geheimdienst, ganz egal aus welchem Land er kommt. Dieser Mann hat mit Sicherheit auch Angst vor Ihnen und …«
»Aber was können wir machen, wenn er einfach nicht redet?«, schrie der Beamte.
»Zum Beispiel eine entspannte Atmosphäre
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